Ehrwürdige Meister alle, meine Brüder!
Bei eurer Rezeption wurdet ihr zu Br... FM auf- und angenommen. Die Rezeption ist eine Initiation, denn es handelt sich um eine Neugeburt, einen Aufbruch in ein neues Leben, das Leben als Br... FM.
Die Aufnahme in den Gesellengrad ist eine Beförderung, denn euer Lohn als Gesellen wurde erhöht. Der Geselle geht den als Lehrling begonnenen Weg weiter, lernt dazu und sucht die Auseinandersetzung mit den Mitmenschen.
Die Aufnahme in den Meistergrad ist eine echte Erhebung. Ihr wurdet aus dem Grab aus der Horizontalen in die Vertikale gehoben. Licht strahlt wieder im Tempel, Trauer und Finsternis sind verschwunden. Ihr habt ab nun Teil an der Weisheit Hirams.
Während eurer Lehrzeit als Lehrlinge und Gesellen seid ihr euren Weg im ständigen Bewusstsein der Dualität gegangen, ihr musstet Gegensätze in Verbindung bringen, um sie konstruktiv und fruchtbar werden zu lassen. Das Verhalten der drei untreuen Gesellen in der Hiramslegende ist das Beispiel dafür, was uns allen droht, wenn wir nicht lernen, unsere Leidenschaften zu zähmen. Sie treiben falscher Stolz, Leidenschaft und Ehrgeiz. Die törichten Leidenschaften, vor denen wir in der Aufnahme gewarnt werden, gewinnen in den drei untreuen Gesellen die Oberhand.
Als LL habt ihr euch der Frage gestellt, woher komme ich? Als Geselle hieß die Frage, wohin gehe ich, wo ist mein Platz in der Gesellschaft, was ist mein Auftrag im Leben? Nun nach eurer Erhebung zum Meister kennt ihr eure Pflichten und euren Auftrag als Mensch unter Menschen und wisst, welchen Weg ihr gehen sollt.
Jeder Initiationsweg kann als von der Erde zum Himmel, aus der Dunkelheit zum Licht strebende Stiege verstanden werden. Auf dem Weg der FMei ist die dritte Stufe dieser Stiege die Erhebung zum Meister, sie eröffnet den Weg in die Unendlichkeit. Ihr habt den Sarg, der euch in der Horizontalen hielt, verlassen und strebt nun aufwärts in der Vertikalen, vielleicht sogar bis in den Ewigen Osten.
Eure Erhebung in den Grad des Meisters konfrontiert euch nachhaltig mit der Frage nach dem Sinn eures Lebens und dem Sinn eures Sterbens. Antwort kann und will die FMei euch keine geben, denn finden müsst ihr die Antwort auf eurem maurerischen Weg von Wissen und Weisheit selbst. Die Mittlere Kammer ist – entgegen der Meinung vieler – nicht der Ort, an dem ihr die Antwort auf diese Fragen erhaltet. Ihr erhaltet Werkzeuge, erfahrt aber gleichzeitig am eigenen Leib auch, dass sich diese Werkzeuge gegen euch selbst richten, wenn ihr nicht lernt sie richtig anzuwenden.
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Als MM wurde euch das Privileg zu Teil euren eigenen Tod im Voraus, zu Lebzeiten zu erleben und zu überleben. Bei jedem weiteren Eintritt in die Mittlere Kammer werdet ihr an dieses Privileg durch den Meisterschritt erinnert. Daher sollt ihr die Angst vor Sterben und Tod ablegen; ihr sollt als freie Menschen bewusst und glücklich leben und gleichzeitig nach den höchsten Werten des Wahren, Guten, Schönen und Gerechten streben.
Die Erhebung führte euch symbolisch an die Schwelle des eigenen Todes und damit an die Pforte eures eigenen Weltendes. An diesem Punkt wird bis dahin Wesentliches und Wahres ebenso irrelevant wie bis dahin Unwesentliches und Unwahres. In diesem Moment, den ihr im Rahmen eurer Erhebung erahnen durften, in dem sich die Zeit selbst liquidiert, ward ihr eine unendlich lange Millisekunde nur Summe, ward ihr Verwandlung vom Ich bin, der ich bin zum Es war, was es war.[1]
Die Mittlere Kammer, ist ein zu einem Raum-Zeit-Kontinuum entrückter Ort, an wir Brr... MM an der Überwindung aller irdischen Einsamkeit arbeiten; wir arbeiten in einem symbolischen Steinbruch, um den Salomonischen Tempel wieder zu errichten, in der Gewissheit, dass er fertig gestellt sein wird, wenn der letzte irdische Mensch die Schöpfung verlassen hat. Das mag den Sinn unserer Arbeit fragwürdig erscheinen lassen, beziehen wir uns doch mit all unserem maurerischen Denken ausschließlich auf unser Erdendasein.
Doch dieser Tempelbau ist mehr als eine fragwürdige uns noch nicht bekannte Investition in einen tieferen Sinn. Er mag auch Symbol sein für jenes Wissen, das wir aus Ewigkeiten, denen wir entsprungen sind in die Zeit mitgenommen haben, er ist Metapher für das uns immanente Urwissen, das hier nur erfühl- und erahnbar geblieben ist und sich erst nach unserer Heimkehr ins Ganze konkretisieren könnte. Dieser Tempel ist auch Symbol dafür, dass nichts verloren bleibt; er ist Hort der Verheißung, irdische Einsamkeit in Liebe zu verwandeln. Aus Erkenntnissen mag großes Erkennen werden. Erkenntnisse gewinnen ist stets mehr als bloßes intellektuelles Verstehen, mehr als analytische Reflexion. Erkenntnis bedeutet, vernetzt denkend aus dem bestehenden Wissen heraus einen wesentlichen Schritt in Neuland zu setzen und Zusammenhänge zu verstehen und zu durchschauen. Erkenntnis ist ein die Gesamtheit des Menschen so schmerzlich wie glückhaft durchdringendes und sein Selbst verwandelndes Elementarereignis, das Angst lösen kann, als selbstbefreiend empfunden wird und im Sinn des Todes den Sinn des Lebens findet. Erkenntnis, so verstanden, ist ohne Menschenliebe und Todesakzeptanz nicht denk- und erfühlbar. Erkenntnis ist für (uns) Menschen der Aufklärung das, was Gnade für Gläubige sein mag.
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Die drei ersten Reisen eurer Erhebung konfrontieren euch mit der Vergänglichkeit alles Lebendigen und zwingen euch, eurer eigenen Sterblichkeit ins Auge zu sehen. Die Totenschädel, die euch der ZM, der TH und der Scha entgegenhalten, erinnern an die eigene Zukunft.
Dramatischer Höhepunkt und gleichzeitig Schlussakkord des ersten Teils der Erhebung ist der Blick in ein Grab, euer eigenes Grab. Der Blick in das eigene Grab soll die Aufforderung, über die Endlichkeit des eigenen Lebens nachzudenken, noch einmal einschärfen. Die Endlichkeit des Menschen steht im Mittelpunkt. Erkenne Dich selbst, erkenne deine eigene Sterblichkeit! Beherrsche Dich selbst im Andenken an die Unausweichlichkeit des eigenen Todes! Diese Forderungen gehen weit über das hinaus, was in den beiden ersten Graden gesagt wurde. Damit erhaltet ihr eine Vorschau auf die Dunkelheit, die euch, uns alle, erwartet, wenn das eigene Licht erloschen ist.
Auch wenn der Tod für uns kein Gegenstand von Erfahrung und Wissen ist, steht uns die Tatsache unserer Sterblichkeit immer vor Augen, nicht unbedingt weil wir uns wider bessere Einsicht doch über die Grenze unseres Erlebens und unserer Erkenntnis wegschleichen wollen, sondern gerade weil uns die sichere Gewissheit schreckt, dass der Tod das Ende unseres individuellen Lebens und damit aller unserer Ansprüche und Chancen ist. Mit dem Tod hört das Selbst mit einem Mal auf zu existieren, was schwer vorstellbar ist und die meisten Menschen ängstigt.
Für Martin Heidegger[2] ist der Tod, falls er >ist<, wesensmäßig je der meine. Und zwar bedeutet er eine eigentümliche Seinsmöglichkeit, darin es um das Sein des je eigenen Daseins schlechthin geht.[3] Heidegger bezeichnet diese Seinsmöglichkeit auch als Sein zum Tode. Der Tod sei eine Weise zu sein, die das Dasein übernimmt, sobald es ist; als Ende des In-der-Welt-seins, das kein Zu-Ende-sein des Daseins, sondern ein Sein zum Ende dieses Seienden bedeute.[4] Das Sein zum Tode wird gewissermaßen als eine Art von Wissen um die eigene Endlichkeit und Sterblichkeit gefasst und manifestiert sich einerseits in Sorge, im Sich-vorweg-sein des Daseins andererseits in Angst. Das Sein zum Tode ist wesenhaft Angst[5], sagt Heidegger und noch deutlicher Da-sein heißt: Hineingehaltenheit in das Nichts.[6]
Der antike Philosoph Epikur[7] kommentiert die Unausweichlichkeit des Todes so: Das schauererregendste aller Übel, der Tod, betrifft uns überhaupt nicht; wenn wir sind, ist der Tod nicht da; wenn der Tod da ist, sind wir nicht. Er betrifft also weder die Lebenden noch die Gestorbenen, da er ja für die einen nicht da ist, die andern aber nicht mehr für ihn da sind.
Epikur will den Menschen die Angst vor dem Tod nehmen, was aber nur schwer gelingen will. Denn der Tod ist stets da, wo wir sind, zumindest in dem Sinne, dass wir ständig in der Welt, in der wir leben, erfahren, mit ansehen, erleben und damit fertigwerden müssen, dass gestorben wird. Wir bekommen mit, wie um uns herum andere Menschen – und Tiere – sterben. Insofern ist der Tod da, wo wir sind, und er berührt uns auch.
Der Tod ist für den Menschen als metaphysicum[8] und nicht als physische Gegenwart von Bedeutung. In dem Maß als das Bewusstsein von meiner Sterblichkeit, von meinem eigenen Tod meine Lebensführung beeinflusst und beeinträchtigt, ist der Tod als Metaphysisches in seiner physischen Abwesenheit anwesend. Nicht die Furcht vor dem Tod, sondern Bereitschaft soll unser Leben begleiten.
Epikur weist uns darauf hin, was der eigene Tod für den Einzelnen bedeutet. Im Blick auf den eigenen Tod ist in dem Hinweis auf das Ende der Bewusstseins- und Erlebenskontinuität, durch welches das Problem für das erlebende Bewusstsein gegenstandslos wird, die Lösung zu sehen. Die Lösung des Todesproblems für den Einzelnen besteht demnach in nichts anderem als in dem Hinweis auf das vollständige Ende, das alle weitergehenden Vorstellungen gegenstandslos macht – und damit auch alle Befürchtungen, weil es das Ende aller Möglichkeiten des Erlebens ist, über das hinaus wir nichts mehr zu fürchten hätten.
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Der zweite Teil der Erhebung ist das Mysterienspiel vom gewaltsamen Tod und der Grablegung unseres Meisters Hiram. Der Kandidat und die handelnden Beamten ändern dabei zwei Mal ihre Rollen; der Kandidat wechselt vom ehrgeizigen Gesellen zum vollkommenen Meister, die Hammer führenden Meister wechseln zunächst in die Rolle der ruchlosen Gesellen, die den vollkommenen Meister erschlagen und dann in die Rolle der suchenden Meister.
Das Mysterienspiel von der Ermordung unseres Meisters Hiram endet mit dessen Grablegung. Das Grab, welches der Kandidat noch vor kurzer Zeit als eine ferne Möglichkeit gesehen hat, wird nun für ihn zum konkreten Erleben. Danach folgt ein besonderer Höhepunkt des initiatorischen Erlebens des Kandidaten, seine Erhebung durch die Fünf Punkte der Meisterschaft. In der anschließenden kurzen Instruktion belehnt der VM den neu erhobenen Meister mit dem Schurz des Meisters und gibt ihm Zeichen Wort und Griff bekannt. Ein neuerlicher Höhepunkt ist das Überschreiten des Grabs mit dem Meisterschritt. Der zweite Teil der Erhebung schließt still mit der vierten Wanderung. Dabei soll der junge Meister das Erlebte in Stille reflektieren und gleichzeitig die Hoffnung auf Überwindung des Todes erfahren.
Zweimal ist dem Br... FM im Rahmen seiner Initiation die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod auferlegt, denn für jede Wiedergeburt ist der Tod unumgänglich, das erste Mal bei seiner Rezeption in der Dunklen Kammer, das zweite Mal bei seiner endgültigen Initiation in der Mittleren Kammer. Dieser zweite Tod entspricht der Vollendung des großen Magisteriums, bedeutet die vollständige Hingabe seiner selbst.
Die Mittlere Kammer ist der Ort, an dem der Hieros Gamos, die chymische Hochzeit stattfindet, der Ort, an dem die Spannung der Dualität aufgehoben wird. Der Kandidat wird zum Stein der Weisen. Im Meistergrad wird so das große Werk durch Königsmord, Verwesung und Wiederauferstehung symbolisch dargestellt. Das alte Meisterwort – (angeblich Jehova) – ist verloren und wird durch das neue Meisterwort – Makbenak (e...l...i...S...) – ersetzt. Symbolisch vereinigt sich der neue Meister damit mit Hiram, und die Traditionskette aus Tod und Wiedergeburt findet einen neuen Anfang.
Das verlorene Wort ist der Schlüssel zum Werk. Dieses Elixier zu finden, bedeutet Anfang und Schluss zusammenzubringen und damit den Uroboros, dieses Symbol für ewige Wiederkehr und Unendlichkeit, zu vollenden. Der Meister muss den mystischen Weg aus Purgatio, Illuminatio und Unio gehen. Am Anfang und am Ende dieses Wegs – wobei das Ende der Anfang und der Anfang genauso das Ende sein können – stehen Mortificatio und Putrefactio[9], die Bemühung ans Ziel und damit an den Neuanfang zu gelangen.
Die heiligen Worte des ersten und zweiten Grades sind nicht stark genug, um den Kandidaten zu heben. Es bedarf der Stärke der fünf Punkte der Meisterschaft, das große Werk zu vollbringen. Der Zusammenschluss der fünf äußeren Punkte zu einer lebendigen Kette versinnbildlicht innere Einigkeit. Die Vereinigung von Fuß zu Fuß, von Knie zu Knie, von Brust zu Brust, die verschlungenen rechten Hände und die gleichzeitige Geste des linken Armes sind Zeichen einer engen Gemeinschaft. Der Entschluss, gemeinsam einem Ziel zuzustreben (Fuß), denselben Kult der Arbeit zu befolgen (Knie), dieselben Gefühle zu teilen (Brust an Brust), fest zusammenzuhalten (rechte Hände) und sich gegenseitig zu unterstützen (linke Arme), ist Ausdruck einer immerwährenden Umwandlung und Höherentwicklung des Menschen. Die fünf Punkte der Meisterschaft deuten Freundschaft und Einigkeit an, denn wir stehen auf einem Boden und gehen einen Weg, bereit dem Bruder zu Hilfe zu eilen und willens, Gnade für ihn zu erbitten, dem Fall des Bruders zuvorzukommen, ihn zu heben, uns einander gegenseitig das Herz offen zu halten und einander womöglich herzlich zu lieben.
Der Meisterschritt symbolisiert Geburt – Leben – Tod. In der Zeitspanne zwischen Geburt und Tod spielt sich die ganze menschliche Existenz ab, mit all ihren Höhen und Tiefen und mit all jenen Möglichkeiten, die dem Menschen offenstehen. Der erste der drei Schritte, der den Lebensbeginn symbolisiert, geht hart ans Nichts, an der ewigen Nacht vorbei. Mit dem rechten Fuß, dem Todesfuß von alters her, streift der Maurer den Sarg. Es ist bloß ein Streifen, aber bereits ein Mahnen, dass das Leben nicht nur aus irdischen Freuden besteht. Der Mensch soll ermuntert werden, über seinen künftigen Weg nachzudenken. Er soll aus der Jugend heraus der Reife zustreben; er muss Hindernisse überwinden, seinen Willen stählen, seine Erfahrungen klug auswerten. Dieser erste Schritt soll den Meister daran erinnern, dass er aus Erde ist und zur Erde zurückkehren wird. Am Ende des Ersten Schritts befindet sich der Maurer im Süden, im vollen Licht seines Lebens, in der Fülle seines Schaffens, in der Mitte seines Daseins. Im hellen Licht und in voller Kraft können alle menschlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Nach Abwiegen von Gut und Böse kann die Entscheidung über die künftige Richtung getroffen werden. Gute wie schlechte Erfahrungen, Freuden und Enttäuschungen haben sich im Besitz des Bruders angesammelt, ein Besitz, der nicht tote Masse sein soll, sondern ein lebendiges Kapital voller Anregungen zum Denken und Handeln. Um zu einem gesteckten Ziel zu gelangen, gibt es viele Wege, aber alle führen über die Arbeit an sich selbst.
Der zweite Schritt über den Sarg führt den Maurer nach Norden, wo es kein Licht, keine Wärme, keine Schönheit mehr gibt. Der Bruder muss auf die Schattenseite des Lebens zurücktreten, um den Unterschied zwischen Norden und Süden kennen zu lernen und um sein Leben von einem neuen Gesichtspunkt zu betrachten. Im Norden, auf dem Abstieg des irdischen Lebens sind die äußeren Reize nicht mehr ausschlaggebend, es zählt nur noch der innere Reichtum. Der zweite Schritt erinnert daran, dass das rechte Leben des Menschen nicht dem eigenen Ich gelten soll, sondern, dass er sich vielmehr mit voller Kraft dem Wohle der Menschheit zuwenden soll. Umwertung und Neudeutung der Werte sollten jetzt stattfinden, denn viel Zeit zur Fortentwicklung bleibt nicht mehr.
Der dritte Schritt, der letzte Schritt, führt geradlinig in den leuchtenden Osten durch den Tod hindurch und über den Tod hinaus. Mit diesem letzten Schritt wird der Sarg nicht nur gestreift, sondern überschritten. So gelangt der Maurer nach Osten, in das Licht der aufgehenden Sonne des neuen Tages, des neuen Lebens. Das letzte, was ein Mensch besitzt, muss er opfern, um diesen großen und letzten Besitz zu erreichen. Mit diesem Schritt lässt der Bruder alles Irdische hinter sich.
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Der dritte Teil der Erhebung hat inhaltlich und dramaturgisch nichts mit den ersten beiden Teilen gemein. Verliefen die Wanderungen eins bis vier gegen den Sonnenlauf, so folgen die Wanderungen fünf bis sieben dem Lauf der Sonne. Das fahle Licht des Mondes wird von dem strahlenden Licht der Sonne abgelöst. Die Musik ist mit einem Mal nicht mehr nachdenklich und traurig, sondern fröhlich und überschwänglich. In älteren Ritualen wird auch das Ersetzen der abnehmenden Mondsichel an der Ostwand des Tempels durch ein Hexagramm, dem Siegel Salomos, mit einem goldenen Punkt in der Mitte gefordert. Und wir, die Brr... der L Aurora z...d...3 Feuern, drehen Schurz und Bijou auf die Tagseite um.
Der neu erhobene Meister reist zu den kleinen Lichtern und bringt Licht von jeder Säule, um die Loge zu erleuchten. Das Pult des MvSt, gewissermaßen sein Reißbrett, ist zu diesem Zeitpunkt noch immer vom Uroboros beherrscht. Damit ist die Loge an diesem Ort noch immer ohne Licht. Im ersten und zweiten Grad leuchten diese Lichter dauernd, doch im Meistergrad erfahren wir, dass diese Lichter, analog zu den drei kleinen Lichtern, immer wieder aufs Neue in uns entzündet werden müssen.
Proklamation und Akklamation des neu erhobenen Bruders Meister schließen den dritten Teil der Erhebung und die gesamte Erhebung ab.
Nachdem der neuerhobene Meister den Tod und die Rückkehr ins Leben als neuer Hiram erlebt hat, kann er hinaus in ein neues Leben aufbrechen auf der Suche nach der wahren Meisterschaft und der werden, der er sein könnte. Um seine Mitte zu erreichen, muss sich der Maurer zunächst seiner eigenen Sterblichkeit stellen und nach dem Sinn seines vergänglichen Lebens fragen. Die Vergegenwärtigung des eigenen Todes birgt die Freiheit des Individuums von seinen Zwängen in sich.
Unser Br... Wolfgang Amadeus Mozart schreibt an seinen Vater nach dessen Erhebung: Da der Tod (genau zu nehmen) der wahre Endzweck unseres Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen bekannt gemacht, dass sein Bild allein nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel Beruhigendes und Tröstendes! Und ich danke meinem Gott, dass er mir das Glück gegönnt hat, mir die Gelegenheit (Sie verstehen mich) zu verschaffen, ihn als den Schlüssel zu unserer wahren Glückseligkeit kennen zu lernen[10]. Mozart spricht davon, dass aus der Erfahrung des Todes, wie sie die Brr... FM in der Erhebung machen, die Erfahrung der inneren Freiheit entsteht. Ich möchte die Einstellung Mozarts, die mir die Einstellung eines echten Freimaurermeisters zu sein scheint, so zusammenfassen: erst wenn der Tod dein bester Freund ist, bist du wirklich frei.
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Meine lieben Brr... neu erhobene MM!
Eure Initiation in den Bund der Freimaurer ist abgeschlossen. Ihr habt die letzte, die entscheidende Stufe eurer Einweihung mit dem Schritt über das Grab, euren eigenen Kadaver, erreicht. Das Heilige Buch bleibt geschlossen, denn ihr habt nun das volle Wissen. Der Zirkel liegt über dem Winkelmaß, er fordert euch damit auf, über euch selbst hinaus zu schauen. Hirams Grab ist das Symbol der Überlieferung des ganzheitlichen Wissens des Meisters, der wertvolle Fundus unserer humanitären Weltanschauung. Es gibt also keinen Grund, untätig zu bleiben, denn Warten verlängert die Zeit nicht, die dem Meister bleibt.
Das Werkzeug, mit dem ihr als Brr... FM – MM nun arbeitet, ist das Reißbrett. Der Schritt über das eigene Grab soll für euch Befreiung sein, soll euch frei machen für ein neues Leben, …als Meister zieht ihr hinaus und beginnt ein neues Leben…[11]. Auch wenn es in der Eröffnung der Meisterloge heißt, dass es der Zweck unserer Arbeit sei, des eigenen Todes zu gedenken[12], so ist damit nicht eine pathologische Todessehnsucht oder der eigene definitive Tod gemeint; als MM sollt ihr euch frei von Raum und Zeit, frei vom Alltag und der Profanei bewusst werden, was den FM – M als solchen auszeichnen soll. Der freie Mensch denkt über nichts weniger als über den Tod; und seine Weisheit ist nicht ein Nachdenken über den Tod, sondern über das Leben[13], sagt Baruch de Spinoza und Michel de Montaigne meint: Das Vorbedenken des Todes ist Vorbedenken der Freiheit[14].
Aus der Erkenntnis des Todes habt ihr gelernt, dass das einzige was zählt, das Jetzt ist. Gestern und Morgen sind kein Thema mehr. Das Leben lässt sich nicht zwei Mal leben, die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, ein Augenblick kann weder auf- oder festgehalten werden, noch kehrt er zurück. Die Zukunft hat noch nicht begonnen, auf die Unwägbarkeiten, die die Zukunft mit sich bringt, habt ihr keinen Einfluss, aktiv gestalten könnt ihr die Zukunft nicht, ihr werdet nicht gefragt, ob ihr damit einverstanden seid, was das Leben so bringt. Damit wird …des eigenen Todes zu gedenken[15]… zum kategorischen Imperativ des FM – M. Euer symbolischer Tod als Hiram beinhaltet einen klaren Auftrag, es muss das Jetzt gerechtfertigt sein.
Anstatt sich spekulativen Fragen, die nicht zum Bereich des natürlichen Wissens gehören, zuzuwenden, gilt es, sich mit den Fragen und Herausforderungen des Hier und Jetzt auseinander zu setzen. Statt Antworten auf Fragen des Unendlichen und des in völliger Ferne Stehenden spekulativ zu erforschen, lautet die sittliche Forderung des Meistergrads, die Aufgaben des Hier und Jetzt ernst zu nehmen und mit größerer Aufmerksamkeit, das, was wir gerade tun, als das Wichtigste anzuerkennen.
Anders als die Religionen, die mit den verschiedensten Lehren vom Weiterleben nach dem Tode versuchen, der ausweglosen Endgültigkeit den Schrecken zu nehmen, gibt die FMei keine Antwort auf die Fragen nach einem Leben nach dem Tode oder einer Wiedergeburt. Sie weist uns im 3.° darauf hin, dass wir unser Leben und Handeln so einrichten sollten, als hätten wir (nach dem Tode) keine zweite Chance, Vergehen zu korrigieren oder moralische Verfehlungen zu verbessern. Das steigert den Anspruch auf eine bewusste, sittliche Lebensführung; die Endlichkeit des Daseins erfordert besondere Aufmerksamkeit für das Hier und Jetzt, denn jederzeit kann das eigene Leben enden … Unsere Reise von der Geburt zum Tode soll eine Wanderung zur Vollkommenheit sein…[16]
Der Meistergrad ist der notwendig letzte Grad, er entspricht einem Ideal, das uns als eine Aufgabe gestellt ist; wir müssen nach diesem streben, auch wenn seine Verwirklichung über unsere Kräfte geht. Niemals wird unser Tempel vollendet sein. Keiner von uns soll erwarten, das Ziel zu erreichen und in sich den wahren ewigen Hiram auferstehen zu sehen.
Die Vollendung des maurerischen Werkes kann nur dann gelingen, wenn die schaffenden Kräfte des Künstlers vereinigt werden und im Geiste der konstruktiven Arbeit und brüderlichen Toleranz zur Anwendung kommen. Wenn der Lehrling durch die Werkzeuge zur praktischen Arbeit angehalten wird, der Geselle Erfahrungen sammelt und mit Sorgfalt beobachtet, so besteht die gemeinschaftliche Aufgabe der MM in der Erneuerung der Traditionen und der Einleitung des Fortschrittes. Als MM, beseelt vom wahren Geist der Kunst und dem Großen Werk der Maurerei verschrieben, überwindet ihr die Täuschungen der Außenwelt durch Denken. Eure Überlegenheit baut sich auf die Fähigkeit auf, tiefer in das Wesen der Dinge eindringen zu können.
Als FM – MM gehört ihr einer Elite an, nicht weil ihr die höchste Initiation unseres Bundes erreicht habt, nicht weil ihr mehr wisst als andere, insbesondere LL und GG. Die Pflichten des FM, die weit mehr als das unmittelbar Persönliche (Tugend der Verschwiegenheit, Menschlichkeit und Brüderlichkeit) umfassen, streichen das Besondere eines Br... hervor. Eure Zugehörigkeit zu einer Elite begründet sich dadurch, dass wir Brr... FM uns alle einer konkreten Aufgabe verschrieben haben und mehr bewirken wollen, …das Wohl der Menschheit … dass wir für die eine Welt arbeiten wollen, die frei werde von Parteigeist und Feindschaft, Gewalt und Zerstörung, eine Welt, in der die Menschen nach Wahrheit und Gerechtigkeit streben, nach Frieden und Harmonie…[17].
Als Brr... MM arbeitet ihr im Zentrum zwischen Winkelmaß und Zirkel; ihr vermittelt, zwischen Materie und Geist, Himmel und Erde, Vernunft und Gefühl. Ihr seid Meister eurer Leidenschaften und handelt mit Weisheit, Umsicht und Mäßigung. Indem ihr Extreme vermeidet, geht ihr den Weg der Mitte, wie ihn die östlichen Weisheitslehren kennen; ihr seid daher fähig, euren ausgewogenen Lebensplan auf dem Reißbrett zu entwerfen.
Symbolisch seid ihr der goldene Punkt in der Mitte des Hexagramms; das Hexagramm, in dem sich Oben und Unten genauso wie die vier Elemente verbinden. Ihr seid der Punkt in der Mitte, der Br... M, der alle Spannungen auszugleichen versteht. Ihr habt die Peripherie des Rades, wo zentrifugale Kräfte herrschen, verlassen und steht nun in der Mitte, in der Achse. So wie die Achse das Rad ohne eigene Bewegung hält, so sollt ihr als MM von nun an euer Leben führen, ohne euch von euren Leidenschaften und Trieben beherrschen zu lassen. Laozi, ein östlicher Meister des Wegs der Mitte, beschreibt diese Art zu leben so:
Der Weise [Meister] lässt sich nicht blicken, er leuchtet.
Er drängt sich nicht auf, er wird wahrgenommen.
Er preist sich nicht an, er wird wegen seiner Verdienste gefunden.
Er drängt sich nicht vor, sondern schreitet voran…
Der Weise [Meister] erreicht große Dinge, ohne selbst große Aktionen zu setzen.
Sich selbst zu erkennen, ist die höchste Weisheit.
Die Anderen zu kennen, ist Weisheit.
Der Weise [Meister] achtet alles, vor allem achtet er sich selbst.
Der Weise [Meister] sieht das Ganze, nicht das Detail.
[1] Br... M. L., Zeichnung in der DL Telos, 2019
[2] Martin Heidegger, 26.09.1889 – 26.05.1976
[3] Heidegger M., Sein und Zeit, Tübingen 2006, zitiert nach Macho M., das Leben nehmen, Suizid in der Moderne, Suhrkamp 2017
[4] Ebd.
[5] Ebd.
[6] Heidegger M., Was ist Metaphysik? In ders., Wegmarken, Frankfurt/Main 1967, zitiert nach nach Macho M., das Leben nehmen, Suizid in der Moderne, Suhrkamp 2017
[7] Epikur (341 vuZ – 271 vuZ), Brief an Menoikes
[8] Grün K.-J., Philosophie der Freimaurerei, eine interkulturelle Perspektive, Interkulturelle Bibliothek Band 124, Verlag Traugott Bautz, Nordhausen 2006
[9] …die Haut löst sich vom Fleisch…, …das Fleisch löst sich vom Bein…, Ritual der Erhebung, GLvÖ 2011
[10] Mozart Wolfgang Amadeus (1756 – 1791), Brief vom 4. April 1787 an seinen Vater Leopold Mozart (1719 – 1787) kurz nach dessen Erhebung zu Freimaurermeister
[11] Ritual der Erhebung, GLvÖ 2011
[12] Ebd.
[13] de Spinoza Baruch (1632 – 1677)
[14] de Montaigne Michel (1533 – 1592), Essaie I, 20, Que philosopher, c’est apprendre mourir
[15] Ritual der Meisterloge, GLvÖ 2011
[16] Ritual der Erhebung, GLvÖ 2011
[17] Ritual der Beförderung, GLvÖ 2011