FMei ist in erster Linie Tun, so wie ihr das in dieser Arbeit, in der der Tapis gezeichnet wurde, erlebt habt. FMei lehrt nicht durch Worte und Bücher, FMei lehrt durch ihr Ritual und das Erleben und Ausführen des Rituals. Sie ist der festen Überzeugung, dass noch so gut gemeinte Vorträge ihr Ziel nicht erreichen. Was euch jungen Brr... in unserer L mitzuteilen ist, das sollt ihr aus der Logenpraxis erfahren können. Die Logenpraxis führt euch zu näherem Verständnis der FMei.
Dennoch bietet die FMei demjenigen, der sich dafür interessiert, ein weites Feld von Forschung und Erfahrung, die für den einzelnen Br... eine Quelle sowohl intellektuellen als auch spirituellen Erlebens werden können. Vertiefung im Wissen um Ritual und Symbol ist die Voraussetzung, um von der formalen Einweihung, eurer Rezeption, zur wahren Initiation zu finden.
In der Aufnahme wurdet ihr im Rahmen der Reisen in die FMei eingeführt. Die Lehren, die ihr während der Reisen vom MvSt erhalten habt, sind eure erste Begegnung mit und die erste Information über die FMei. Viel mehr als diese Lehren gibt es über die FMei selbst nicht zu sagen, denn etwas anderes als Symbol und Ritual (der Graderteilungen) hat die FMei nicht, denn es gibt kein Identität stiftendes, niedergeschriebenes Werk der FMei wie Bibel oder Koran. Im Laufe der Zeit werdet ihr merken, dass, wenn wir Inhalte der FMei mit Zitaten belegen, fast ausschließlich Zitate aus dem Ritual oder aus anderen, eventuell historischen Ritualen, verwenden.
Diese Rituale sind im Laufe der gut drei Jahrhunderte, in denen es nachweislich so etwas wie eine strukturierte FMei in dem Sinn, wie wir sie heute erleben, im Wesentlichen unverändert geblieben. Daher ist es Aufgabe aller Brr... gemeinsam und jedes einzelnen Br... im Besonderen, der Frage nachzugehen, wie FMei in meiner konkreten Umgebung, in der heutigen Zeit verwirklicht werden könnte.
Der Trend der heutigen Zeit am Beginn des 21. Jahrhunderts geht in Richtung Uniformierung der Gesellschaft, in der die Masse das Individuum ersetzt. Den Platz von Ideen nehmen Statistiken und Meinungsumfragen ein. Die Erfahrung von und Auseinandersetzung mit Natur und Kosmos, Stille und Alleinsein sind in dieser lauten Umgebung schwer geworden.
Die FMei gibt ihren Mitgliedern Mittel und Erfahrungen in die Hand, um in und für sich selbst Humanität und Spiritualität zu bewahren; sie ist die hohe Schule bewusster, denkender Humanität. Der maurerische Weg ist ein Weg der Initiation, der Einweihung, welchen ihr als Suchende bewusst und aus freiem Entschluss gewählt habt. Dieser Weg braucht ein Minimum an Einsatz und Arbeit an sich selbst, denn die FMei oder ihre Rituale sind keine Magie, noch Sakramente, die den Menschen mit einem Wort, einer Handlung verändern.
Auf dem Weg der Einweihung bietet die FMei die schrittweise, materielle und geistige Befreiung des einzelnen Menschen. Ihr Ziel ist – neben anderen – dem einzelnen Br... Werkzeuge in die Hand zu geben, um Antworten auf die universellen Fragen eines denkenden Menschen zu geben: Woher komme ich? Wer bin ich? Wo gehen wir hin?
Den rauen Stein, seinen rauen Stein zu behauen, ist der Lebensplan, den der Lehrling und jeder Br... FM verwirklichen soll. Der raue Stein symbolisiert die Unvollkommenheit von Verstand und Herz. Die Regeln der profanen Welt funktionieren in der besonderen Welt der Loge und der Tempelarbeit nicht; die gewohnten Verhaltensweisen müsst ihr im Saal der verlorenen Schritte zurücklassen, genauso wie ihr vor eurer Aufnahme alle Metalle ablegen musstet. Ritual, Symbole und Werkzeuge sollen in euch Träume nach euren persönlichen Möglichkeiten wecken, die vielleicht lange verschüttet waren, Träume wie Erweiterung eures Bewusstseins, Grenzerfahrung, oder besseres Urteilsvermögen.
In der Dunklen Kammer habt ihr hinter dem VM das Wort VITRIOL gelesen, das die Abkürzung für Visita Interiora Terrae (et) Rectificando Invenies occultum Lapidem (Besuche, durchsuche das Innere der Erde und durch Rektifizieren wirst du den geheimen Stein – den Stein der Weisen – finden). VITRIOL beschreibt in der Kurzfassung die Methode der Alchemie, deren Ziel es ist, den Stein der Weisen zu finden, VITRIOL ist gleichzeitig auch die Methode der FMei. Das Innerste Der Erde ist der Br... FM, der in sich selbst nach seinem wahrem Selbst, wie er selbst sein könnte, sucht, erkenne dich selbst. Rektifizieren ist wiederholtes Verdampfen und Kondensieren (Destillieren), ein Vorgang, beim dem die Substanz mit jedem Mal reiner wird, beherrsche dich selbst. Der geheime Stein, der Stein der Weisen, ist der Bruder selbst als glatter behauener Stein. Das ist das Ziel, welches der Bruder erreichen soll, welches er jedoch wahrscheinlich sein Leben lang nicht erreichen wird, veredle dich selbst.
Diese Haltung verlangt, offen zu sein und jede Form von Sektiererei und Intoleranz abzulegen, ohne gleichzeitig beliebig zu werden; sie verlangt auch, den eigenen Egoismus zu bekämpfen und sich für Menschenliebe zu öffnen. Der FM Johann Wilhelm Kellner von Zinnendorf, Gründer der Großen Landesloge von Deutschland, beschreibt diese Haltung so: jeder Freimaurer muss sich in Tugend üben, sich des Geizes, der Arroganz, der Unduldsamkeit, des Misstrauens und des Hasses enthalten. Er soll vor allem seinen Verstand durch Übung fördern und versuchen bescheiden, still und mitfühlend zu werden. – Er kommt in die Loge, um seine Leidenschaften zu zähmen und neues Wissen in der FMei zu erlangen.
Es ist die Pflicht des Freimaurers, ohne Angst und Voreingenommenheit frei zu denken; Der weise Bruder hält sich mit Nutzlosen und Nichtigem nicht auf.[1]
Die maurerische Haltung wächst stetig durch die beharrliche Teilnahme an den Tempelarbeiten, durch das Erleben des Rituals und durch den Austausch mit den Brr.... Darum ist auch das Gespräch an der Weißen Tafel nicht nur Geselligkeit, sondern wahre maurerische Arbeit.
Die Brr..., alle Brr..., ganz gleich ob Lehrling oder Geselle, Meister oder Pastmaster, Ehrenmeister oder Großbeamter, alt oder jung, unterwerfen sich der maurerischen Ordnung und treten ins Zeichen, wenn der MvSt mit Hammerschlag die Brr... in Ordnung ruft. Die maurerische Ordnung ist wesentlich für das Funktionieren einer Loge und die Wirksamkeit der FMei. Die Ordnung, die wir uns auferlegen, bringt den Einzelnen dazu, sich mit seinem Selbst in Abgrenzung zur Ordnung auseinanderzusetzen und daran zu arbeiten, nicht von den straffen Regeln der maurerischen Ordnung erdrückt zu werden. Andererseits zwingt die freiwillige Unterwerfung unter die Regeln der maurerischen Ordnung Brr... mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein dazu, Raum für solche Brr... zu geben, die sonst an den Rand gedrängt werden würden. Die maurerische Ordnung hilft dabei, dass sich die Brr... im rituellen Raum als Gleiche unter Gleichen begegnen können, sie ist also die praktische Anwendung der Senkwaage, des Zeichens der Gleichheit unter den Brr... Damit ebnet die maurerische Ordnung den Bauplatz und schafft so Raum für maurerische Begegnung und die Arbeit am rauen Stein.
In der FMei steht der Mensch im Mittelpunkt, nicht der Mensch als Träger nationaler, sozialer oder religiöser Rollen, nicht der Mensch als Teil seiner Gattung; der einzelne Mensch, das Individuum, die Person steht im Mittelpunkt. Anders als Religionsgemeinschaften fragt die Freimaurerei nicht nach der transzendenten Bestimmung des Menschen, sondern beschäftigt sich konsequent mit der auf das Diesseits bezogenen Bestimmung des Menschen.
In der Zauberflöte der Brr... Mozart und Schikaneder haben die Priester Bedenken, Tamino einzuweihen, weil er ein Prinz sei; Sarastro hat das schlagende Argument: „…noch mehr, er ist Mensch“, und Lessings Nathan wünscht: „…wenn ich einen mehr unter euch gefunden hätte, dem es genügt ein Mensch zu sein“.
Die politisch-soziale Systematik zum Vorrang des Einzelmenschen findet sich dann in Lessings programmatischer Freimaurerschrift Ernst und Falk, Gespräche für Freimäurer von 1778; da heißt es: „die Staaten vereinigen die Menschen, damit durch diese und in dieser Vereinigung jeder einzelne Mensch seinen Teil von Glückseligkeit desto besser und sicherer genießen könne. Das Totale der einzelnen Glückseligkeiten aller Glieder ist die Glückseligkeit des Staates. Außer dieser gibt es keine. Jede andere Glückseligkeit des Staates bei welcher auch noch so wenig einzelne Glieder leiden und leiden müssen, ist Bemäntelung der Tyrannei. Anders nichts.“
Die Aufklärung bestimmte und bestimmt das Denken der Brr... FM. Die Aufklärung entwarf das utopische Bild des befreiten Menschen, der keiner Willkür, weder weltlich noch geistlich, unterworfen sein sollte, sondern seinen Weg der Glückseligkeit gehen (pursuit of happiness) und sein Leben bewusst und mit Vernunft gestalten sollte. Das Individuum sollte selbstbestimmt in einer von moralischen, vernünftigen Gesetzen geregelten sozialen Umgebung leben. Das ist Bürgergesellschaft im besten und eigentlichen Sinn. Br... Lessing meint: „die Freimaurerei ist ihrem Wesen nach ebenso alt wie die bürgerliche Gesellschaft. Beide konnten nicht anders als miteinander entstehen – wenn nicht gar die bürgerliche Gesellschaft ein Sprössling der Freimaurerei ist“.
Kant hat die reine Vernunft als oberste Instanz des Handelns des Menschen postuliert. Schon Schopenhauer und Nietzsche zweifelten an der reinen Vernunft als der Instanz, die Motor eines moralisch, sittlichen Handelns sein sollte. Für Nietzsche war Vernunft alter Wein in neuen Schläuchen. Was vormals im Namen Gottes als Menschenpflicht auftrat, findet sich in säkularisierter Verkleidung unter dem Deckmantel der Vernunft wieder: natur- und leibfeindliche Imperative. Für Horkheimer und Adorno ist in der Tradition Nietzsches die Vernunft formalisiert; das Mittel wird fetischiert, es absorbiert die Lust.[2]
Und tatsächlich geht dieses Konzept der reinen Vernunft oft genug nicht auf. Manchem Menschen mag es zu blutleer erscheinen. Es braucht genauso das Gefühl, die Hoffnung, den Luxus des Überflusses, die Grenzüberschreitung (Transgression). Erst Freud hat uns darauf hingewiesen, dass diese Grenzüberschreitungen ein Ausdruck innerer Freiheit sind, dass wir uns nur dann als Individuen entdecken können, wenn wir uns den Regeln und Idealen des Kollektivs gegenüber schuldig machen.[3]
Die FM-ei hat um dieses Dilemma wohl schon immer instinktiv gewusst. Denn so sehr sich die Brr... der Aufklärung verpflichtet fühlen, die Arbeit mit Ritual und Symbol spricht beide Seiten im Menschen an. FM-ei war und ist immer beides, Emotio und Ratio, Gefühl und Intellekt, Hermetik und Aufklärung, wohl immer in verschiedenen Mischungsgraden; aber die eine ohne die andere Seite zerstört die FM-ei.
Heute ist der Bund der Freimauer ein alter, aus bester europäischer Tradition hervorgegangener Freundschaftsbund freier, sozial aufgeschlossener, einander zugewandter Menschen, die nicht mehr und nicht weniger wollen, als der alten Idee des Menschen, seines Lebensrechts, der Entfaltung seiner Kreativität und der Bewahrung seiner Würde unter den veränderten Bedingungen der Gegenwart und angesichts vieler neuer Herausforderungen und Gefahren etwas mehr Geltung in der täglichen Realität zu verschaffen.
Die FMei erkennt die Fehlbarkeit des Menschen an. Als Subjekt seiner Geschichte bleibt es ihm auferlegt, sich selbst in gemeinschaftlicher Arbeit zu veredeln. Er braucht dazu weder die Mithilfe eines Priesters, der letztgültig die Zeichen der göttlichen Gnade vermittelt, noch die Selbstopferung eines Gottes. Das Ziel, der zu werden, der er sein könnte und damit menschenähnlicher – nicht gottähnlicher – zu werden, erreicht der Br... durch die drei Schritte der Selbsterkenntnis der Selbstbeherrschung und der Selbstveredelung.
Es ist der Ansatz der FMei, den Menschen, so wie er ist, ernst zu nehmen in seiner Eigenschaft als einer sozialen, einer moralischen, einer vernünftigen und einer emotionalen Persönlichkeit. Diese Persönlichkeit hat in jeder ihrer Dimensionen Stärken, Schwächen und besondere Bedürfnisse; in unserer maurerischen Arbeit in der L bemühen wir uns, diesen Umständen zu entsprechen.
Das Angebot der FMei – Gemeinschaft, ethische Orientierung, rituelles Brauchtum – ist eine mögliche Antwort auf die Bedürfnisse des einzelnen Br.... Es entspricht der Grundsituation des Menschen als einem fragenden, einem suchenden Wesen. FMei gelingt immer dann, wenn die Spannung zwischen Idee und Gemeinschaft, zwischen Nachdenken und Handeln, zwischen Verstand und Gefühl, zwischen der Geschlossenheit der Bruderschaft und ihrer prinzipiellen Offenheit für neue Menschen, neu Ideen und neue Erfahrungen ausgehalten wird.
Die Radikalität des Freimaurers, wenn es denn eine solche gibt, ist die stille, zugleich aber nachhaltige Radikalität beständigen Fragens, Prüfen und Bereitseins. FMei in diesem Sinn in die Gegenwart wirken zu lassen, engagiert und redlich, mit klaren Gedanken, ohne Kleinmut aber auch ohne Überheblichkeit, das ist unsere Aufgabe. Das ist die Aufgabe der humanitären FMei, die dem Menschen dienen soll, die vom Menschen ausgeht und in freier Selbstbestimmung von in Freundschaft verbundenen Menschen getragen und gestaltet wird.
Die FMei ist weder ein Klub noch die Vorfeldorganisation irgendeiner Partei oder sonstigen Organisation. Sie ist ein geometrischer Schnittpunkt, in dem sich in schöner Harmonie die verschiedenen Vorstellungen treffen und vervollständigen, die von Menschen guten Willens auf der Suche nach Wahrheit vorgetragen werden. Jede initiatorische Suche ist die Verpflichtung des Einzelnen, auf dem Weg der Erkenntnis des Lichts und der Wahrheit voranzuschreiten.
Nochmals herzlich Willkommen und gute Reise auf eurem Weg!
[1] Zitiert und übersetzt aus Mainguy I., la Franc-Maconnerie clarifiée pour ses initiés, l’apprenti
[2] Grün Klaus-Jürgen, Philosophie der Freimaurerei, eine interkulturelle Perspektive, Interkulturelle Bibliothek, Verlag Traugott Bautz, 2006
[3] Blom Philipp, gefangen im Panoptikum, Reisenotizen zwischen Aufklärung und Gegenwart, Residenz Verlag 2017