Die Alten Pflichten – die Konstitutionen von Anderson

Die Anderson’sche Konstitution von 1723 kann als ein Versuch verstanden werden, eine Synthese zwischen den initiatorischen Traditionen der Antike, Legenden der Bibel, der Soziologie Europas, des Occident, der Philosophie des 18. Jahrhunderts und den Pflichten des Menschen in der Welt herzustellen. Der Dissenterpfarrer James Anderson verfasste the Constitutions oft he Free-Masons containing History, Charges, Regulations, & c. of that most Ancient and Right Worshipful Fraternity im Auftrag des Herzogs von Montagu, der in einer Versammlung der Großloge von London und Westminster sein Missfallen an den alten, gotischen, Konstitutionen geäußert habe.[1]

 

Die erste Auflage der Anderson’schen Konstitutionen ist in drei Abschnitte aufgeteilt. Der erste Abschnitt beschäftigt sich im Sinn einer mythischen Chronik ausführlich mit der Geschichte der FMei. Der zweite Abschnitt ist die Konstitution der neuen Großloge, darin werden zum einen die Pflichten eines Maurers und zum anderen die generelle Regel des Ordens angeführt. Der dritte Abschnitt bringt eine Reihe alter Maurerlieder.

 

Im ersten Abschnitt zeichnet Anderson die mythische Geschichte der Freimaurerei, beginnend mit Adam, der die Geometrie seinen Söhnen lehrte. Von Adam geht Anderson über Noah, die Ägypter und Griechen bis zu den Römern und letztlich zu den (Anglo)Sachsen. Damit will er eine ungebrochene Tradition von den Anfängen der Menschheit bis zur Vereinigung der 4 Logen zur ersten Großloge 1717 zeichnen.

 

Den konstitutionellen Abschnitt gliedert Anderson in folgende Kapitel

  1. Von Gott und der Religion.
  2. Von der obersten und den nachgeordneten staatlichen Behörden.

III. Von den Logen.

  1. Von Meistern, Aufsehern, Gesellen und Lehrlingen.
  2. Von der Leitung der Bruderschaft bei der Arbeit.
  3. Vom Betragen, nämlich:
  4. in geöffneter Loge;
  5. nach geschlossener Loge, wenn die Brüder noch beisammen sind;
  6. wenn Brüder ohne Profane zusammenkommen, aber nicht in der Loge;
  7. in Gegenwart von Profanen;
  8. daheim und in der Nachbarschaft;
  9. gegenüber einem unbekannten Bruder

 

In der Neuauflage von 1738 erweitert Anderson den historischen Abschnitt. Damit versucht er die Universalität der Freimauerei deutlicher zu machen.  Er bezieht sich auf Noah und die Noachiten, die Nachkommen der Söhne Noahs. Die Menschheit ist aus der Sintflut gerettet und erneuert. Das neue Gesetz, der neue Bund gilt für alle Söhne Noahs und damit für Semiten, Afrikaner und Indoeuropäer, also für die gesamte Menschheit. So verliert die FMei ihren ausdrücklich christlichen Charakter, wie sie ihn in den originalen, den mittelalterlichen Alten Pflichten hatte und öffnet sich so ausdrücklich für Juden und Muslime. Diese Version der natürlichen Religion verlangt von allen ihren Mitgliedern nicht mehr als ein guter, ehrlicher Mensch zu sein, ein Mann von Aufrichtigkeit und Ehre und fragt nicht nach Name, Herkunft oder Konfession.

 

Die Anderson’schen Konstitutionen gelten in der Welt FMei als unverrückbar. Ob allerdings die Buchstaben und Worte oder der Sinn der Konstitutionen unverrückbar sind, oder ob die gesellschaftliche Entwicklung bei der Interpretation der Anderson’schen Konstitutionen eine Rolle spielt, darüber herrscht in der Welt der FMei keine Einigkeit. Deutlich wird diese Spannung an der Frauenfrage. Im 18. Jahrhundert war die Rolle der Frau eine andere, als sie es heute ist. Die Maurerei der englischen Tradition hält am Wort „man“ fest und verbietet daher die Aufnahme von Frauen, die liberalen Logen interpretieren im Sinne der heutigen Zeit „man“ als Mensch und weihen Frauen ein. Auch ob es heute, fast 300 Jahre nach der Erstveröffentlichung eine Erweiterung – Neue Pflichten – braucht bleibt offen. In jedem Fall sind die Anderson’schen Konstitutionen auch nach beinahe 300 Jahren die Grundlage der spekulativen FMei.

[1] Lennhoff E., Posner O., Binder D., internationales Freimaurerlexikon, Herbig, München 2000

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