Symbole der Wandlung, hermetische Symbolik in der Freimaurerei

Esoterik versucht die Wahrheit über Wesen und Schicksal von Mensch und Kosmos aus möglichst alten Quellen zu schöpfen; sie steht mit ihrer Methode des Wissensgewinns aus der Tradition in deutlichem Gegensatz zum Prinzip des Selbstdenkens. Mit Vernunft ist Fragen der Transzendenz nicht beizukommen; im Gegenteil, der Mensch übersteigt sein Erkenntnisvermögen, wenn er mit Hilfe der Vernunft versucht, Antworten mit Wahrheitsgehalt auf Fragen der Transzendenz zu geben. (Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft). Der Esoteriker zieht nicht die Grenze des modernen Wissenschaftlers zwischen Rationalem und Irrationalem. Für den Esoteriker wird es gerade erst dann besonders interessant, wenn es um Fragen der Transzendenz, Gottes oder der Engel geht.

 

Esoterik scheint eine Denkform (Faivre Antoine, Que sais je? L’èsotèrisme 2. Auflage Paris 1993: nous appelons l’èsotèrisme en occident moderne une forme de pensée) oder ein Weltbild (Needleman Jacob) im Umfeld der Religionen zu sein. Auch wenn ihr Dogmen, geoffenbarte Bücher und eine Organisationsstruktur, wie sie die Hochreligionen besitzen, fehlt, so handelt es doch nicht um eine sogenannt primitive, archaische Glaubensform, wie sie die Religionsanthropologie untersucht.

 

Der Begriff „Esoterik“ ist in unserer Alltagssprache negativ besetzt und wird oft und gerne mit dem fragwürdigen Esoterikmarkt oder zwielichtigen Sekten in Zusammenhang gebracht. Magie, Astrologie, Hermetik, Alchemie oder auch Kabbala und Theosophie werden unter dem Oberbegriff Esoterik zusammengefasst, Synonym ist auch Hermetik.

 

Esoterik ist ein bestimmendes Moment des westlichen Kulturraums der Neuzeit. In der Renaissance, im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts, fügen sich die drei traditionellen Wissenschaften zum Kernbestand des esoterischen Corpus der frühen Neuzeit zusammen. Die drei Hauptströmungen werden durch „Gründertexte“ ergänzt, das Corpus hermeticum, die jüdische Kabbala, die Philosophia perennis des Agostino Steuco (1540), die Naturphilosophie des Paracelsus, die Theosophie des Jacob Böhme, die Schriften der Rosenkreuzer. Mögen auch die einzelnen Teile erst nach und nach entstanden sein, so sind sie dennoch kohärent, weil ihnen allen ein gleiches Denkmuster zu Grunde liegt; dieses Denkmuster ist ausschlaggebend für die Qualifizierung eines Weltbildes oder eines Textes als esoterisch. Diese vier wesentlichen Komponenten der Esoterik als Denkform sind die „Entsprechungen“, die „Vorstellung von der lebenden Natur“, die „Imagination“ und die „Erfahrung der Transmutation“. Allen vier Komponenten liegt die in der Renaissance intensiv rezipierte Vorstellung von der „Emanation des Göttlichen in die Welt“ und der so entstehenden „Kette der Wesen“ zu Grunde.

 

Das Denken von den Entsprechungen findet seinen bekanntesten Ausdruck in der Lehre vom Makro- und Mikrokosmos, wie oben so unten, was in der Tabula Smaragdina so ausgedrückt wird: Dasjenige, welches Unten ist, ist gleich demjenigen, welches Oben ist. Und dasjenige, welches Oben ist, ist gleich demjenigen, welches Unten ist, um zu vollbringen die Wunderwerke eines einzigen Dinges. Die Vorstellung von der lebenden Natur betont den inneren Zusammenhang zwischen allem Geschaffenen. Die Natur ist von einem Licht oder Feuer beseelt und durchflossen. Das esoterische Erkenntnisprinzip ist die Imagination. Mit ihrer Hilfe kann die Natur entziffert werden, und der Esoteriker erhält Gnosis im Sinne höheren Wissens. Unsichtbares, zu dem das physische Auge keinen Zugang hat, kann sichtbar gemacht werden. Transmutation bedeutet die praktische Umsetzung esoterischer Erkenntnisse. Über den naturbezogenen Aspekt hinaus geht es um jede Art substantieller Metamorphose. Das Ziel ist die „zweite Geburt“, der Übergang eines Wesens aus einem niederen Zustand in einen höheren.

 

Im Canon der esoterischen Schriften kommt der Hermetik aus der Sicht der frühneuzeitlichen Rezeption als angeblich älteste Schrift eine herausgehobene Stellung zu. Marsilio Ficino gibt das griechische Manuskript des Corpus hermeticum 1471 erstmals in lateinischer Sprache heraus. Im Vorwort zu dieser Ausgabe schriebt Ficino den Stellenwert des Corpus hermeticum als die älteste vorchristliche Quelle der Theologie, der prisca theologia fest, ihr Autor ist Hermes Trismegistos. Er führt eine Traditionskette mit sechs Namen von Hermes Trismegistos, über Orpheus, Aglaophemus, Pythagoras, Philolaos bis Platon an. Mit dieser Kette beginnt die esoterische Traditionskette der Neuzeit, was schließlich in der philosophia perennis zusammengefasst wird.

 

Interessant ist, dass diese Art zu denken, sich bis ins 18. Jahrhundert, das Zeitalter der Aufklärung erhält und sogar noch erweitert wird, z.B. in den theosophischen Schriften des Jakob Böhme. Für die Esoteriker genauso wie für die Aufklärer des 17. und 18. Jahrhunderts geht es gleichermaßen darum, den Schlüssel zu höherem Wissen und zu höchster Machtentfaltung zu finden. Ob das neue Jerusalem aus der Vernunft hervorgehe oder aus einem alchemistischen Neuschöpfungsprozess, ob sich die Entwürfe dieser utopischen himmlischen Stadt in einer säkularisierten oder theosophischen Form präsentieren, das Ziel bleibt gleich, nämlich diese Stadt zu errichten.

 

Die Aufklärung war ein schillerndes, in vielem unentschiedenes, nach vielen Seiten offenes Phänomen, von dem man ein „Gegenteil“ erst bestimmen könnte, wenn ein „Original“ vorläge. (Neugebauer-Wölk Monika, die Geheimnisse der Maurer: Plädoyer für die Akzeptanz des Esoterischen in der historischen Aufklärungsforschung, in QC-Jahrbuch 39/2002). Wir im deutschen Sprachraum verstehen unter Aufklärung heute meist die paradigmatische Definition, wie sie Kant 1784 in seiner Schrift, in Beantwortung der Frage, was ist Aufklärung, definiert hat: Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Aufklärung bedeutet auch der wissenschaftlichen Revolution Vorschub zu leisten. Dies geschah in besonders eindrucksvoller Weise – vor allem was wiederum die Demokratisierung des Wissens betrifft – in der Schaffung der Encyclopédie Française, an deren Entstehung Freimaurer maßgeblich beteiligt waren. Entsprechend den konditionierten gesellschaftlichen Reflexen der Epoche wird die Encyclopédie stellvertretend für Freimaurerei, Aufklärerei und sonstiges Ketzertum auf den Index gesetzt. Es ist demnach auch im Sinne des Freimaurers, durch Wissenschaft und gesellschaftlichen Wandel einen Menschentyp heranreifen zu lassen, der nicht den Kadinaluntugenden des Katholizismus anheimfällt. In der Sprache der Freimaurer des 18. Jahrhunderts hatten die Hindernisse, die das Licht des Wissens störten und blockierten, einen dreifachen Namen: Aberglaube, Irrtum, Unwissenheit (Peter Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft, 2 Bände, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1983).

 

Da mag es uns befremden, dass der Illuminat Freiherr von Knigge sich für die Rosenkreuzer, der Erzaufklärer Theologe und Mitbegründer der historisch – kritischen Bibelwissenschaft Johann Salomo Semler (1725 – 1791) sich für hermetische Naturmystik, Lessing sich für den Alchemisten Johann Konrad Dippel (1673 – 1734) interessiert und Newton alchemistische Bücher nicht nur besitzt sondern auch eifrig studiert, um irgendwann einmal selbst ein solches Werk zu schreiben. In diesem Zusammenhang dürfen wir nicht vergessen, dass Kants berühmte Definition des eigenständigen, unabhängigen Denkens am Ende der Epoche der Aufklärung steht und daher das Ergebnis der Entwicklung ist und nicht die Entwicklung selbst. Kants Verständnis des Denkens ist Grundlage des Denkens der Moderne und weniger des Denkens des 18. Jahrhunderts.

 

In der Aufklärung ist das hermetische Gedankengut gewisser Maßen einem Reinigungsprozess unterworfen. Die konkret gedachte Geisterwelt der Hermetik wird zu spirituellen Naturkräften umgedeutet. Vom hermetischen Grundansatz bleiben die Denkmöglichkeit eines Ineinander von Geist und Materie und der Glaube an die Polarität der Kräfte in der Natur.

 

Und wo bleibt das Geheimnis der Esoterik, wo das geheime Wissen? Da sind wir erst recht wieder im 18. Jahrhundert. Gerade das 18. Jahrhundert ist eine Zeit der Gründungen von Geheimbünden und arkanen Gesellschaften, eine davon ist die Freimaurerei. Sinn der Geheimhaltung ist der Schutz der Inhalte; der Geheimbund ist die Form, in der Neues wachsen kann. Das 18. Jahrhundert ist die Zeit, in der sich die Bürger vom Absolutismus ihres Herrschers emanzipieren, es ist die Zeit der Entstehung bürgerlicher Öffentlichkeit. Das Gegensatzpaar Absolutismus – Bürgertum wird zur Ursache des esoterischen Zusammenschlusses. Die esoterischen Bünde sind eine wichtige Organisationsform auf Weg des Bürgertums zur führenden gesellschaftlichen Kraft.

 

Gibt es also einen Widerspruch zwischen Aufklärung und Esoterik? Das Analogieprinzip wird im Denken der Aufklärer nahezu ungebrochen tradiert. Das Konzept von der Kette der Wesen, der überquellenden Emanation des Göttlichen in die Welt ist Bestandteil des aufgeklärten Weltbilds. Genauso ist die Vorstellung von der lebenden Natur vorhanden; der Reinigungsprozess durch die Weltweisheit, die philosophische Abstraktion, tritt in den Vordergrund. Imagination, die mystische Erkenntniskraft tritt gegenüber der von Vernunft gesteuerten Deduktion in den Hintergrund. Die Annahme einer visionären Wahrnehmungskraft konstituiert die Ritualpraxis der esoterischen Bünde. Das sinnliche Erleben der Initiation, die stufenweise Erkenntnis durch intuitive Erleuchtung ist gerade das, was die Geheimbünde zusätzlich zur vernünftigen Wissensvermittlung anbieten. Das Erlebnis der Transmutation steht nach wie vor im naturwissenschaftlichen wie utopischen Bezugsraum, und die Transmutation findet sich in den Ritualen der Geheimbünde wieder.

 

Damit brauchen wir uns in der Tat nicht zu wundern, wenn wir in unseren Ritualen neben streng rationalen Aspekten und Gedanken unvermittelt esoterisch – hermetische Elemente finden, denn die Freimaurerei ist genau in dieser Zeit in diesem Spannungsfeld entstanden. Der Großteil der existierenden Symbole der Freimaurer ist nicht originär aus ihrem Bund hervorgegangen, sondern hat tieferreichende Wurzeln. Eine wesentliche Quelle maurerischer Symbole liegt eben in der Tradition der Alchemie.

 

Freilich kann ein solcher Ansatz nicht restlos mit der grundsätzlich aufklärerischen Position vereint werden. Daher ist die Spannung dieser gegensätzlichen Aspekte in der Freimaurerei ubiquitär. Gleichzeitig ist bezüglich der Symbolauffassung die Problematik der hermetisch-holistischen Auffassung mitzudenken, dass auf metaphysische Ideen des Platonismus rekurriert wird, die keiner restlosen Klärung zugeführt werden können. Somit fällt die Ausdeutung im esoterischen Bereich einer gewissen Willkür anheim. Aus dieser Zwienatur der Freimaurerei, Hermetik vs. Aufklärung, (Raoul Bertaux La Symbolique au Grade d’Apprenti, Editions Edimaf, Paris, 1986, Contraria sunt complementa … Niels Bohr redecouvrait le principe de complémentarité, principe qui pourtant est à la base de tout enseignement initiatique) scheint eine neue Allianz zu erwachsen, die historisch gesehen geradezu vorprogrammiert erscheint.

 

Die Freimaurerei organisierte sich in Logen und machte so von neuem das alte Ideal der Separation des Weisen vom Profanen, die geheime Überlieferung des Wahren, lebendig. Der Geheimbund ist zunächst vor allem bewusste Elitenbildung, verborgene Gemeinschaft der Erleuchteten, hermetische Kette der Weisen in Gegenwart und Vergangenheit.

 

Allerdings werden in der maurerischen Geschichtsschreibung die vielfachen Formen der FM in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die Templergrade, die Illuminaten, die Gold- und Rosenkreuzer, die Asiatischen Brüder, der Rite rectifié als schwärmerische Verirrungen gegen den Geist des Rationalismus der Aufklärung abgetan. Nur die drei blauen Grade hätten das Licht der reinen Vernunft in sich und hätten nichts mit diesen Abwegen zu tun. Aber gerade die Johannisgrade, die am Anfang der Großlogengründung von 1717 stehen, sind sowohl durch die Ideen der Aufklärung als auch durch die hermetische Tradition inspiriert.

 

Hermetik, hermetische Philosophie, ist gleichbedeutend mit Alchemie. Ihr legendärer Begründer ist Hermes Trismegistos, Mercurius termaximus, der dreimal größte Hermes, über den die Tabula Smaragdina sagt: Und also bin ich genannt Hermes Trismegistos, der ich besitze die drei Teile der Weisheit der ganzen Welt. Was ich gesagt habe von dem Werk der Sonne, daran fehlet nichts. Es ist ganz vollkommen.

 

Die Alchemie war nicht nur – wie heute oft angenommen – die Vorläuferin der Chemie – Stichworte: Goldmacherei, Porzellan – sondern bis ins 18. Jahrhundert die akzeptierte Methode der Naturerkenntnis. Ihre Quellen sind in der ägyptischen Mysterientradition (alchemistisch wird daraus Sulfur = Seele), in der griechischen Philosophie (Merkur = Geist) und in den technisch metallurgischen Kenntnissen der Handwerker und Schmiede (Sal = Körper) zu finden. Die Alchemie geht allerdings bei der Betrachtung der Natur von anderen Denkansätzen aus, als wir es heute gewohnt sind. Sie beobachtet die Natur sehr genau und versucht Erklärungen zu finden, die mit den Vorstellungen von der Natur vereinbar sind. Experimente in unserem modernen Sinn kennt sie nicht. Warum steigt Rauch auf? Holz oder Kohle, dem Element Erde zugehörig, wird durch das Element Feuer in Rauch verwandelt, der zum Element Luft gehört; das Element Luft steigt auf.

 

Adorno und Horkheimer sprechen davon, dass die Natur durch Arbeit beherrscht werden soll, das ist der Ansatz der modernen Naturwissenschaften. Der Ansatz der Alchemie ist ein anderer. Die Hermetik versteht sich als eine Lehre der übergeordneten Naturgesetze. In ihr sind sowohl die Gesetze der Kausalität als besonders auch der Analogie zu finden. Sie bietet ein Erklärungsmodell für die Beziehungen der verschiedenen Dinge zueinander. Das Ziel ist die Vervollkommnung der Natur. Es sei Auftrag des Schöpfers an den Menschen die Schöpfung zu vervollkommnen. Dazu ist das magische Dirigieren und Beeinflussen von naturgegebenen Kräften notwendig, die genau so gesetzmäßig funktionieren wie unsere modernen Naturgesetze, jedoch in unserem naturwissenschaftlichen Denken keinen Platz haben. Das Ziel, unedle Metalle zu Gold zu veredeln, liegt nicht in dem hohen materiellen Wert des Goldes. Gold ist deswegen für den Alchemisten das vollkommenste Metall, weil es zu gleichen Teilen aus den drei Prinzipien Sal, Merkur und Sulfur besteht.

 

Heute teilt man die Alchemie üblicher Weise in drei verschiedene Bereiche ein, die im üblichen Sprachgebrauch vermischt werden.

 

Die Spagyrik, dieser Begriff wird zumeist Paracelsus zugeschrieben, für den er gleichbedeutend mit Alchemie war, wir finden ihn aber schon bei Plotin. Für Paracelsus ermöglicht die Alchemie das Eindringen in die innere Natur der Dinge und die Trennung ihrer geistigen Wesensmerkmale von der materiellen Schale. Zur Spagyrik gehört das Wissen um die Herstellung von Arzneimitteln. Für Paracelsus sind die Vorgänge im Körper auf den Archeus, den inneren Alchimisten, zurückzuführen. Chemisch synthetisierte (nicht aus Naturstoffen extrahierte) Arzneien werden zum Kennzeichen der Medizin des Paracelsus. Das Hauptaugenmerk liegt auf den Metallen als Ausgangsstoff.

 

Die Archimie, damit wird jener Teil der Alchemie bezeichnet, der sich mit der Vervollkommnung der Metalle beschäftigt.

 

Die hermetische Philosophie die spirituelle Alchemie, ist eine Geheimwissenschaft, die nur vom Lehrer auf den Schüler – vom Meister an den Initianden – mündlich weitergegeben werden kann. Die hermetische Philosophie, die Überlieferung dessen, was als das Verborgenste nur durch Intuition meditativ zu erfahren ist, umschließt eine Theosophie, das Wissen über Gott, eine Mystik, das Wissen über das Geistige und eine Metaphysik, das Wissen über das sinnlich nicht-wahrnehmbare in der Natur.

 

Dieser Philosophie entsprechend, erstreckt sich das Arbeitsgebiet der Alchimie auf drei Bereiche. Es ist theologisch, wenn die Alchemie die unermessliche Größe des Schöpfers erkennen lehrt. Es ist geistig, wenn die Alchemie von der Selbsterkenntnis ausgehend zur psychischen Läuterung führt und die Herrschaft des Körpers und der sinnlichen Triebe durch diejenige der geistigen Prinzipien ersetzt. Es ist materiell, wenn die Alchemie den von der Natur eingeschlagenen Wegen folgend, es unternimmt, den armen und leidenden Mitmenschen zu helfen.

 

Spagyrik und Archimie sind vorwiegend exoterische Wissenschaften und in diesem Sinn Vorläufer unserer modernen Chemie. Die hermetische Philosophie ist rein esoterisch. Die Alchemie beruht auf der Annahme, dass Materie und Geist wie im Menschen so auch im Stoff eine Einheit, unus mundus, bilden. Dadurch wird auch die Analogie zwischen chemischer Operation und Veredelung des Menschen verständlich. C. G. Jung hat das in seinen Schriften wiederholt beschrieben. Nach C. G. Jung ist das, was der Alchemist im Kolben beobachten kann, nichts weiter als eine Projektion des Unbewussten. So wie bei längerem Betrachten im Spiegel sich das eigene Gesicht verändert, erscheinen im Kolben Farben und Symbole. Für C. G. Jung ist die Alchemie ein Individuationsprozess. Die Symbolwelt der Alchemie und deren Ähnlichkeit mit den Symbolen anderer Systeme, die durch Meditation eine Individuation erreichen wollen, ist Ausgangspunkt seiner Untersuchungen.

 

Unterschiedliche Bewertungen gibt es allerdings für die chemischen Ergebnisse. Für C. G. Jung sind die Laborergebnisse rein zufällig und nebensächlich. Die andere Interpretation meint, dass der Selbstfindungsprozess und die Laborarbeit nicht zu trennen seien. Der Erfolg im Labor zeige den Fortschritt der Individuation an, und ein Fortschritt bei der Individuation gehe mit Erfolg im Labor einher.

 

Die Methode der Alchemie, das Ziel, die Vollkommenheit – den Stein der Weisen -, zu er­reichen, ist verhältnismäßig einfach: solve et coagula, löse auf und füge zusammen. Der alchemistische Prozess wird in Anspielung auf das göttliche Schöpfungswerk großes Werk oder Opus magnum genannt. In ihm soll die chaotische Ausgangsmaterie – Materia prima -, in der sich die Gegensätze noch unvereint in heftigstem Widerstreit befinden allmählich in einen erlösten Zustand vollkommener Harmonie überführt werden; das ist der heilkräftige Stein der Weisen oder Lapis philosophorum. Dazu muss die Prima Materia einem sich immer wieder aufs Neue wiederholenden Destillationsprozess unterworfen werden. In der Freimaurerei: erkenne dich selbst, beherrsche dich selbst.

 

So werden wir zu Beginn unserer Initiation in der Dunklen Kammer mit dem Symbol des Todes, der Vergänglichkeit konfrontiert. Der Suchende muss die Dunkle Kammer betreten, um seinem alten Leben zu sterben. Dieser symbolische Tod ist notwendig, um als Kind des Lichts neu geboren zu werden.

 

Diese Kammer ist vergleichbar mit dem „Athanor“, dem Brennofen des Alchemisten, in dem die Prima Materia durch intensive Hitze bearbeitet wird. Im Athanor geschieht die Calcinatio der Materie. Dort wird sie einer solchen Hitze ausgesetzt, dass jede Verunreinigung verbrennt.

 

Sich selbst überlassen, eingeschlossen im geheimen Laboratorium seiner eigenen Persönlichkeit, dem philosophischen Ei, wird der Suchende in der Dunklen Kammer zurückgelassen. In der Alchemie ist das philosophische Ei ein gläsernes Gefäß, das vas hermeticum, in dem der Stoff, die Prima Materia, der Adept, längere Zeit unter Einwirkung von Hitze im Athanor digeriert oder figeriert wird. Das Ei ist das hermetische Gefäß, in dem sich neues Leben entwickelt. Auch das philosophische Ei zeigt die drei Prinzipien: Sal = Schale, Merkur = Eiweiß, Sulfur = Dotter. Das Ziel ist die Wiederbelebung, die Regenerierung, die Wiederauferstehung des „wahren Menschen“ durch die Erkenntnis der in der Natur des Geistes verborgenen Potentialitäten. Die Prima materia legt den Akzent auf das (psychische) Material, in dem alles, das Ganze und das Eine, die schwer erreichbare Kostbarkeit, von Anbeginn enthalten ist. Diese Prima materia muss in ein Gefäß, in das philosophische Ei, das vas hermeticum eingeschlossen werden, damit die materia drinnen gekocht werden kann. In der „Turba Philosophorum“, einer arabischen Kompilation griechischer alchemistischer Traktate und Doktrinen, die ab dem 13. Jahrhundert in Europa weite Verbreitung findet, heißt es, die Kunst sei mit einem Ei vergleichbar, in dem vier Dinge verbunden sind. Seine äußere Schale sei die Erde, das Eiweiß das Wasser, das feine Häutchen, das der Schale anliegt, die Luft und das Eigelb das Feuer. Das fünfte Element oder die Quintessentia sei das junge Hühnchen, der neue Mensch, der durch Selbstreflexion auf sich selbst zurückgezogen reife.

 

Die Kräfte des Kandidaten schwinden dahin, die Zersetzung beginnt, das Subtile scheidet sich vom Groben. (Rektifizieren und Destillieren). Der Suchende muss sich zunächst nach „Innen“ wenden, um sich mit der Vergänglichkeit allen Irdischen auseinander zu setzen.

 

Auf dem Pult in der Dunklen Kammer findet der Suchende Sulfur, Merkur und Sal. Indem sich Merkur und Sulfur im Innersten der Erde vereinigen, entstehen nach alchemistischer Tradition die Metalle, die sich weiterentwickeln und so langsam zu Gold werden. Genauso soll der Suchende in der dunklen Kammer wiedergeboren werden und sich in einem Leben als Initiierter wandeln.

 

Der Sulfur ist als ein Bild der expansiven Kraft anzusehen, als individuelle Initiative, als Wille. Ihm steht wie die Frau dem Mann der Merkur gegenüber als das, was von außen dem Subjekt zugeht, oder als die Rezeptivität schlechthin. Diese beiden antagonistischen Kräfte gleichen sich im Sal, dem Prinzip der Kristallisation, aus. Sal bedeutet den unveränderlichen Teil des Wesens, der dort entsteht, wo die Kräfte des Sulfur und des Merkur aufeinander treffen. Der Sulfur steht für das innere Licht des Mikrokosmos, der Merkur dagegen für das äußere Licht des Makrokosmos, während der Sal den Bereich des intensivsten Lichts (des Großen Lichts) darstellt, in dem diese beiden widerstreitenden Kräfte zusammenkommen und kondensieren. In Abhängigkeit von dem symbolischen Zusammenhang werden Sulfur, Sal und Merkur wie folgt interpretiert:

Geist – Körper – Seele

Inneres – Mitte – Äußeres

Expansion – Ruhe – Kompression

These – Synthese – Antithese

Weisheit – Schönheit – Stärke

 

Im Lehrlingsgrad wird an der Reinigung des Sal zur Befreiung des Sulfur gearbeitet. Dem roten Sulfur entspricht die rote Säule J, bei der die Lehrlinge ihren Lohn enthalten. Der Sulfur steht für den Lichtfunken, der in jedem Menschen eingeschlossen ist, das innere Licht des Mikrokosmos. In der „Tabula Smaragdina“ heißt es: Und so wie alle Dinge aus dem Einen stammen, durch einen Gedanken des Einen, so sind alle Dinge aus dieser einen Ursache durch Anpassung entstanden. Er ist Teil der schöpferischen Kraft der Welt.

 

An der Wand der Dunklen Kammer begegnet dem Suchenden der geheimnisvolle Spruch: VITRIOL, Visita interiora Terrae Rectificando invenies Occultum Lapidem, besuche das Innere der Erde und durch Rektifizieren (durch wiederholte Destillation), wirst du den philosophischen Stein finden. Der Spruch mahnt zu saturnischer Selbsterkenntnis. Die Siebenzahl der Sublimationen – William Blake (1757-1827) spricht in diesem Zusammenhang von den sieben Brennöfen der Seele – war dem Saturn als siebentem Planeten im kosmologischen System zugeordnet. Jeder von uns trägt den Stein der Weisen in sich, und jeder muss in sich selbst zu suchen beginnen, um diesen Stein der Weisen zu finden.

 

Der Stein der Weisen ist völlig purifiziertes Sal, der den flüchtigen Merkur koaguliert, um ihn an dem flammenden Sulfur zu fixieren und aktiv werden zu lassen. In der alchemistischen Tradition besteht das große Werk aus drei Schritten, Purifizieren des Sal, Koagulieren des Merkur, Fixieren des Sulfur; erkenne dich selbst, beherrsche dich selbst, veredle dich selbst, der Weg vom Lehrling über den Gesellen zum Meister.

 

Blind, ohne Metalle, nicht nackt, noch bekleidet (die alchemistische Separatio), nur durch eine sichere Hand geführt, muss der Kandidat nun im Tempel mit der Prüfung durch die Elemente konfrontiert werden. Nackt, blind und ohne jegliche Waffe wird er stufenweise von der grobstofflichen Welt zu immer feinstofflicheren Elementen geführt. Beginnend mit der grobstofflichen Erde gelangt er durch Wasser, Feuer und Luft zum subtilen Geist.

 

Erst im zweiten Grad geht die wahre Feuerprobe vor sich. Der feurige Sulfur muss aus­gearbeitet – oder richtiger ausgesandt -, zum Wirken gebracht werden. Das Feld der Tätigkeit des Gesellen bemisst sich gleichsam nach der Ausdehnung oder Tragweite seiner sulfurischen Strahlung. Dabei tritt der Geselle mit der Welt in eine Beziehung von solch erhöhter Wirksamkeit, dass das intellektuelle Erfassen (welches dem Merkur-Prinzip entspricht) davon eine neue Erleuchtung (flammender Stern) erfährt und eine Verbindung des zuerst bloß individuellen Willens mit dem der Kollektivität anbahnt.

 

Der Flammende Stern mit dem Buchstaben G in der Mitte ist ein weiteres hermetisches Symbol. Er symbolisiert die Beherrschung der vier Elemente durch den Geist. Mit diesem Zeichen nützt der Geselle die Kräfte der Luft, des Feuers, des Wassers und der Erde. Damit ist das Pentagramm, der Flammende Stern, ein Zeichen der Allmacht und der Selbstbeherrschung. Das Pentagramm vollkommen zu verstehen, heißt den Schlüssel zu den zwei Welten zu besitzen. Alle Mysterien der Magie, alle Symbole der Gnostik, alle Diagramme des Okkultismus, alle kabbalistischen Schlüssel der Prophezeiung sind in dem Zeichen des Pentagramms zusammengefasst, von dem Paracelsus verkündet, dass es von allen das größte und mächtigste sei. (Eliphas Lévi, transzedentale Magie)

 

Das Pentagramm symbolisiert den Mikrokosmos und die Quinta Essentia und ist gleichzeitig das Zeichen des Menschen und der Menschenliebe, welche den Mittelpunkt des Mikrokosmos (des geistigen Universums) bildet. Im Ritual der GL zur Sonne heißt es: Wir sehen in ihm (dem Flammenden Stern) nicht allein das Bild der Brüder- und der Menschenliebe, sondern vorzüglich das Symbol der menschlichen Vernunft, des logischen Denkens, des Wahrheit suchenden und erkennenden Geistes. Das ist der Stern, der auch im Dunkeln leuchtet, mit dessen Hilfe der Mensch sich zurechtfinden kann. Gott hat dem Menschen die Denkkraft als Leitstern seines Lebens mitgegeben.

 

Nach Oswald Wirth stellt der Buchstabe G in Mitten des Flammenden Sterns das alchemistische Zeichen für Sal dar, bei dem allerdings der umschließende Kreis nicht gänzlich geschlossen ist. Damit weist der Flammende Stern über den Gesellengrad hinaus und zeigt nicht nur das Ziel sondern auch den Weg, den der Geselle gehen muss, um die wahre Meisterschaft zu erreichen.

 

In den Reisen der Beförderung sendet der MvSt den Gesellen auf einen Weg, der erst in der Mittleren Kammer sein Ende finden wird (…und nähert sich dem Meister). Dieser Weg geschieht in fünf Schritten, wobei jeder dieser Schritte unter dem Zeichen einer Farbe und damit nach der alten Lehre der Alchemisten unter dem Zeichen eines Planeten steht. Der erste Schritt steht unter dem Zeichen der Farbe Schwarz und damit des Saturns. Es ist die Reinigung durch das Element Erde. Der Neophyt soll den Dingen auf den Grund gehen, ohne von ihrem Äußeren abgelenkt zu werden. Im zweiten Schritt, blau, Jupiter, wird das Element Luft beschworen, das die einem Schwert gleiche Schärfe des Geistes freilegen soll. Der dritte Schritt ist grün, Farbe der Venus. Durch das Element Wasser soll in diesem Schritt der Spiegel des Geistes so gereinigt werden, dass der Kandidat gerecht denkt. Zu Ehren des Mars ist der vierte Schritt rot, Symbol für die Reinigung durch das Feuer oder das Wachsen der inneren Wärme. Der fünfte Schritt ist durchscheinend und farblos – Merkur. Der Adept kann seinen Weg erst nach sorgfältiger Reinigung durch die vier Elemente ausführen, die zur Quintessentia zusammengeführt worden sind. In diesem Stadium riskiert der Initiierte nicht mehr von der blendenden Helligkeit der Sonne hingerissen, noch von dem zarten Licht des Mondes verführt zu werden, denn vor ihm liegt nur noch die Tiefe der absoluten Finsternis. Während seine Blicke das Dunkel zu durchdringen versuchen, erscheint plötzlich ein schwaches Licht. Anfangs nur ein Schimmer, so wächst es doch schnell und erreicht schließlich eine solche Helligkeit, dass das Dunkel verschwindet. In diesem Moment formt sich dieser geheimnisvolle Stern zu einem Pentagramm mit Feuerzungen, in dessen Mitte der Adept den Buchstaben G erkennt.

 

Sobald der rohe Stein behauen und geglättet ist, haben wir nicht mehr nach innen, sondern auch nach außen zu arbeiten. Was wir so schaffend ausrichten würden, wäre unbedeutend, wenn wir nicht das Geheimnis wüssten, Kraft von einer Kraft zu leihen, die (scheinbar) außerhalb unserer liegt. Diese Kraft schöpft der Geselle an der Säule B. Damit findet wieder eine Zirkulation statt, indem der Individualwille magnetartig den göttlichen Willen herab zu holen sucht, immer wieder niederfällt, abermals emporsteigt, bis beide im „Philosophischen Feuer“ zusammenkommen. (Rektifizieren) Es ist der Kreislauf, von dem man in der Tabula Smaragdina liest, es steiget von der Erden gen Himmel, und wiederum herunter zur Erden, und empfanget die Kraft der oberen und der unteren Dinge.

 

Das unverbrennliche Wesen, das aus der Feuerprobe hervorgeht, ist der Phönix (ein von Alchemisten viel gebrauchtes Bild). Der Geselle hat die Aufgabe, sich in den Phönix zu verwandeln. Sein Handeln muss von der Intelligenz geleitet werden, Aktivität und Rezeptivität müssen einander ergänzen. Darum hat der Geselle beide Säulen vollständig zu kennen. Damit wird er zur androgynen Materie Rebis.

 

Der Adept kann den Rebis nur erreichen, wenn er seine widerstreitenden Triebe beherrscht. Alle niedrigen und brutalen Instinkte müssen bezwungen sein, bevor er das himmlische Feuer auf sich ziehen und in sich selbst auflösen darf. Dann erst ist der Initiand wahrer Mensch, und der Flammende Stern wird zum Zeichen des Menschen, der seine Instinkte und Triebe überwunden hat, dessen Sein von Tun von seinem souveränen Willen geleitet wird.

 

Der Lapis Philosophorum, der Rebis, erlaubt die Transmutation unedler Metalle in reines Gold. Mit anderen Worten dient die Alchemie damit dem inneren Prozess der Wandlung. Das saturnalische Blei symbolisiert als Prima Materia den Menschen mit allen seinen Unvollkommenheiten. Das goldgewordene Blei symbolisiert den Menschen in einem veredelten Zustand. Das alchemistische Symbol für Gold ist die Sonne, in der FM rauer und behauener Stein. Der Freimaurer geht vom Symbol des unbehauenen Steines aus. Die Königliche Kunst besteht darin, dieses Rohmaterial zum brauchbaren Eckstein zu behauen (Rektifizieren), so dass der Tempel der Humanität aufgerichtet werden kann.

 

Der Alchemist, der Hermetiker, geht von der unedlen Prima Materia aus. Er arbeitet an der Umwandlung dieser Materie in Gold. Das Ziel der Hermetischen Kunst und auch der FM sind die Wiederbelebung, die Regenerierung, die Wiederauferstehung des wahren Menschen durch die Erkenntnis der in der Natur des Geistes verborgenen Potentialitäten Die Seele ist als Lichtkeim im Kerker des Körpers eingeschlossen. Ziel des Opus Magnum, des Grossen Werkes ist es, diesen Keim zu befreien.

 

Im Meistergrad wird das Große Werk durch Königsmord, Verwesung und Wiederauferstehung symbolisch dargestellt. Das alte Meisterwort – das „Zentralfeuer“ (angeblich Jehova) – ist verloren und wird durch das neue Meisterwort – MB (e...l...i...S...) – ersetzt. Mac Benah ist hebräisch und bedeutet etwa soviel wie Sohn der Verwesung, Filius putrifactionis. (Amiot Monique, Xavier Tacchella, le Rite Opératif de Salomon, Maître, de la Mort à la Vie). Das Meisterwort soll den Br... M immer daran erinneren, dass er aus der Verwesung kommt. Symbolisch vereinigt sich der neue Meister damit mit Hiram, und die Traditionskette aus Tod und Wiedergeburt findet einen neuen Anfang. Das verlorene Wort ist das Elixier, der Schlüssel zum Werk. Dieses Elixier zu finden, bedeutet, Anfang und Schluss zusammenzubringen und damit den Uroboros zu vollenden.

 

In der Bildsprache der Alchemisten ist der Uroboros Symbol eines in sich geschlossenen und wiederholt ablaufenden Wandlungsprozesses der Materie. Ziel dieses Prozesses ist es, durch Erhitzen, Verdampfen, Abkühlen und Kondensieren die Materie immer weiter zu verfeinern. Der Drache verbindet die vier Elemente miteinander, Schuppen = Wasser, Flügel = Luft, Körper = Erde, Flammenatem = Feuer. Er wird damit selbst zum fünften Element, zur Quintessenz. In den Büchern der Alchemie ist das Bild der zum Zirkel geschlossene Schlange oft durch zwei Schlangen ersetzt, von denen die obere Flügel trägt, um die Volatilität, den flüchtigen, männlichen Teil der Materie, symbolisch darzustellen. In dieser Darstellung finden wir eine Verschmelzung von Schlange und Vogel und damit von Himmel und Erde.

 

Der Meister muss einen mystischen Weg aus Purgatio, Illuminatio und Unio gehen. Am Anfang und am Ende dieses Wegs – wobei das Ende der Anfang und der Anfang genauso das Ende sein können – stehen Mortificatio und Putrefactio, die Bemühung ans Ziel und damit an den Neuanfang zu gelangen. Haut muss sich vom Fleisch und Fleisch vom Bein lösen, um den alten Menschen zu zerstören und Raum für den neuen Menschen zu schaffen. Für jede Erneuerung oder Wiedergeburt ist der Tod unumgänglich. Der Erneuerung, der Wiedergeburt müssen eine Zerstörung und anschließend eine Auflösung ins Formlose, Amorphe, vorangehen.

 

Zweimal ist dem Maurer der Tod auferlegt: am Beginn seines initiatorischen Wegs in der Dunklen Kammer und am Ende seiner Reisen bei seiner definitiven Initiation in der Mittleren Kammer. Dieser zweite Tod entspricht der Vollendung des großen Magisteriums. Dieser bedeutet das vollständige Opfer seiner selbst, den Verzicht auf jeden persönlichen Wunsch. Er ist das Auslöschen jenes radikalen Egoismus, welcher den Fall Adams hervorruft, indem er die Spiritualität ins Körperliche herabzieht. Das enge, kleine Ich zerfließt in nichts vor dem hohen unpersönlichen Selbst, symbolisiert durch Hiram. Die mythische Sünde des ewigen, allgemein-menschlichen Adam (Adam Kadmon) wird so gesühnt. Um die Arbeit des universellen Baus mit Nutzen zu leiten, muss der Meister in die genaueste Willensvereinigung mit Gott eingehen. In nichts mehr Sklave, ist er umso mehr der Herr von allem, als sein Wille im Einklang mit demjenigen wirkt, der das Universum regiert. Zwischen Abstraktem und Konkretem, zwischen der schöpferischen Intelligenz und der Schöpfung erscheint der Meistermaurer als der echte Demiurg der Gnosis.

 

Es genügt jedoch nicht, dass der Meister das Licht aus seinem Urquell schöpft, er muss auch denen eng verbunden sein, die er bei der unendlichen Arbeit leiten soll. Das notwendige Band ist die Sympathie, die Liebe. Der wahre Meister, muss bereit sein, sich auf die Liebe seiner Brr... einzulassen; er kann aber auch keinen Erfolg haben, wenn er die Brr... nicht so sehr liebt, wie er sich selbst. Diese Liebe geht bis zur Selbstopferung, zur Hingabe des eigenen Lebens, wie es Hiram der Legende nach getan hat. Der Pelikan ist das Symbol für diese liebende Aufopferung, ohne welche alles Bemühen eitel bliebe.

 

Der Meistergrad ist der notwendig letzte Grad, er entspricht einem Ideal, das uns als eine Aufgabe gestellt ist; wir müssen nach ihm streben, wenn seine Verwirklichung auch über unsere Kräfte geht. Niemals wird unser Tempel vollendet sein, und keiner von uns soll erwarten, das Ziel zu erreichen und in sich den wahren ewigen Hiram auferstehen zu sehen.

 

Diese alchemistische Lehre, die uns hier begegnet, ist eine Herausforderung, uns zunächst nach innen zu wenden, uns auf die Suche des in uns tief verborgenen Lichtkeimes zu begeben. Wir sollen zunächst nach Selbsterkenntnis streben, den Kern unseres Wesens zu durchforschen.

 

Das Ziel ist eine geistige Erneuerung des Menschen. C. G. Jung interpretiert die alchemistische, hermetische Symbolik der Transmutation als Ausdruck der geistigen Erneuerung des Individuums; er nennt sie Individuation und meint damit jene Entwicklung, die jeder Mensch durchlaufen muss, um den Zustand der Ganzheit, den Stein der Weisen zu finden oder der behauene Stein zu werden. Im Zustand der Ganzheit sind die nicht ausgelebten Aspekte der Persönlichkeit ins „Selbst“ integriert. Jungs „Selbst“ ist das seelische Bild, das die helle und die dunkle Seite der menschlichen Natur verkörpert, das Licht und den Schatten, das Männliche und das Weibliche, J und B und all die anderen Gegensätze, die geeignet sind, den Geist eines Menschen zu zerreißen.

 

Die Nigredo, das schwarze Stadium der Alchemie repräsentiert den ersten Akt dieses Dramas der Selbstfindung, in dem es der Alchemist genauso wie der Br... Freimaurer wagt, sich der dunklen Seite der eigenen Natur zu stellen. In der Sprache der Psychologen ist im Zustand der Nigredo das Unbewusste durch Energieverlust so abgesunken, dass es nicht mehr im Stande ist, das Bewusste zu beeinflussen. Damit ist gerade dieser Zustand die Voraussetzung für neues Wachstum, wie die Winterpause für die Vegetation. Wenn sich im Unterbewusstsein ein neuer Komplex gebildet und sich mit der erforderlichen Energie angereichert hat, bricht er ins Bewusstsein durch und leitet eine Periode erhöhter Aktivität und Kreativität ein. Dazu die Tabula Smaragdina: Auf diese Art wirst Du den Ruhm der ganzen Welt erlangen. Dann wird alle Dunkelheit von dir weichen. Dies ist die starke Kraft aller Kräfte, die alle subtilen Kräfte verbindet und alle festen durchdringt.

 

Die alchemistische Bemühung, die Gegensätze zu vereinigen, gipfelt in der Chymischen Hochzeit, dem Hieros Gamos in der Mittleren Kammer, als den das Werk vollendenden Einigungsakt. Der männliche Sulfur ist der Vater, der weibliche Merkur die Mutter, die eine neue Substanz (alchemistisch das Kind) zeugen.

 

Nach Überwindung der Feindschaft der vier Elemente, besteht noch der letzte Gegensatz, den die Alchemisten mit der wechselseitigen Beziehung von männlich und weiblich auszudrücken versuchen. Wenn sich die Gegensätze vereinen, Männliches und Weibliches sich zu einer Einheit verbinden, entsteht der Lapis philosophorum.

 

Der Stein der Weisen ist ein passendes Bild für Jungs „Selbst“. Er ist eine aus Gegensätzen gebildete Einheit, die in der hermetischen Symbolik als Hermaphrodit oder Rebis dargestellt wird. Der Stein vereinigt in sich Materie und Geist, Seele und Körper. Er ist das „Eine in Allem“ und das „Alles in Einem“.

 

 

Abstract

Die Aufklärung wird gewöhnlich als Zeitalter des Rationalismus verstanden. Gleichzeitig entstehen zu genau derselben Zeit eine Reihe von Gesellschaften wie die Gold- und Rosenkreuzer, aber auch die asiatischen Brüder, die alchemistische, spiritistische, magnetische und magische Experimente durchführen. Die Bruderschaft der Freimaurer hat von beiden Seiten gelernt. Nicht von ungefähr heißt sie auch königliche Kunst – ein anderer Name für Alchemie.

Die Methode der Alchemie, das Ziel, die Vollkommenheit – den Stein der Weisen -, zu erreichen, ist verhältnismäßig einfach: solve et coagula, löse auf und füge zusammen.

Für C. G. Jung ist die Alchemie ein Individuationsprozesses. Der Erfolg im Labor zeige den Fortschritt der Individuation an, und ein Fortschritt bei der Individuation gehe mit Erfolg im Labor einher.

Als Lehrling, Geselle und Meister durchschreitet der Maurer den hermetischen Prozess, von der Dunklen Kammer, dem Athanor, über die Auseinandersetzung mit den Elementen bis zu seinem symbolischen Tod, Grablegung und Auferstehung als Hiram, Mortificatio und Putrefactio. In der Mittleren Kammer vollzieht sich die Chymische Hochzeit, der letzte Gegensatz wird überwunden, und der Maurer erreicht als Lapis philosophorum die Unio mystica.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Literatur

  • Boucher Jules, la symbolique maçonnique, Dervy, Paris 1948
  • Calame Pierre Ed, der Weg der Initiation, Alpina (Schweizer Freimaurer-Rundschau), Nr. 4, 1999
  • Coudert Alison, der Stein der Weisen, die geheime Kunst der Alchemisten
  • Ferré Jean, Dictionnaire des symboles maçonniques, Éditions du Rocher, 1997
  • Gebelein Helmut, Alchemie, Diederichs Gelbe Reihe, Kreuzlingen, München, Hugendubel 1999
  • Jung Carl Gustav, die Psychologie der Übertragung dtv 35178
  • Liebhart Karin, Die Symbolik der Freimaurer im Lichte der Aufklärung, Proseminar aus Politikwissenschaft, WS 2001/2002
  • Neugebauer-Wölk Monika; Esoterik im 18. Jahrhundert – Aufklärung und Esoterik, eine Einleitung, http://www.izea.uni-halle.de/forschergruppe/materialien/aufsaetze/neugebauer_woelk_aufklaerung_und_esoterik.pdf; 27.2.2010, 11.20 Uhr
  • Neugebauer-Wölk Monika, die Geheimnisse der Maurer: Plädoyer für die Akzeptanz des Esoterischen in der historischen Aufklärungsforschung, in QC-Jahrbuch 39/2002
  • Roob Alexander, Alchemie & Mystik, das hermetische Museum, Benedikt Taschen Verlag, Köln 1996
  • Silberer Herbert, Probleme der Mystik und ihrer Symbolik, Heller 1914
  • Wirth Oswald, le symbolisme hermétique dans ses rapports avec la Franc maçonnerie, Dervy-Livres, Paris 1969-1981
  • Wirth Oswald, la franc-maçonnerie rendue intelligible à ses adeptes, sa philosophie, son objet, sa méthode, ses moyens, I l’apprenti, Dervy, Paris 1977
  • Wirth Oswald, la franc-maçonnerie rendue intelligible à ses adeptes, sa philosophie, son objet, sa méthode, ses moyens, II le compagnon, Dervy, Paris 1977
  • Wirth Oswald, la franc-maçonnerie rendue intelligible à ses adeptes, sa philosophie, son objet, sa méthode, ses moyens, III le maître, Dervy, Paris 1977

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