Noch nie in der Menschheitsgeschichte hatten wir Menschen so viele Freiheiten. War es früher das Vorrecht einzelner privilegierter Gruppen der Bevölkerung, Reiche, Hofnarren, Nonkonformisten oder avantgardistischer Existenzialisten zu tun und zu lassen was und wie sie wollen, so ist es heute eine banale Alltagserfahrung, über alles und jedes/jeden Entscheidungen zu treffen. Wir haben die Qual der Wahl, lesen wir Schopenhauer oder Micky Mouse, Goethe oder die Peanuts, beschäftigen wir uns mit Ethik, oder lösen wir Kreuzworträtsel, sammeln wir alte Möbel, Briefmarken oder LiebhaberInnen, hungern wir für den Frieden, die Figur oder die Miete, verdienen wir unseren Lebensunterhalt, indem wir Menschen, Autos oder Bilanzen frisieren. Das einzelne Individuum entscheidet autonom, es ist gewisser Maßen zur Freiheit verurteilt. Dennoch will es mir scheinen, als wäre es so, dass dem Drang zu Erweiterung der Freiheitsspielräume, dem Willen zur Freiheit, der Drang gegenüber steht, den errungenen Freiheiten wieder zu entfliehen; Erich Fromm spricht von der Furcht vor der Freiheit (Erich Fromm Gesamtausgabe, München 1989, Bd. 1). Die Dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts sind ein gutes Beispiel dafür, wie ein großer Teil der deutschen Bevölkerung sich enthusiastisch von den neu erworbenen Freiheiten der Demokratie verabschiedet, um einem sogenannt größten Führer bis ins Verderben zu folgen.
In unserer modernen westlichen Gesellschaft gehen wir in besonderer Weise von der Autonomie des Individuums aus und definieren sämtliche Freiheitsrechte vom Individuum her. Der individuelle Mensch ist kein ohnmächtiges Erfüllungsinstrument eines ominösen Schicksals, sondern er bestimmt selbst, worin er den Sinn seiner Existenz sieht. Wir Menschen sind stolz darauf, mit dem ausgestattet zu sein, was im Allgemeinen unter freiem Willen verstanden wird, denn dieser freie Wille sei ein wesentliches Merkmal unseres Menschseins und unterscheide uns von einem Tier. Ein Tier nämlich sei unfrei, das heißt vollständig seinen Trieben und seinem Instinkt unterworfen und könne so keine freien Entscheidungen treffen. Der Mensch hingegen sei mit Vernunft, Gewissen und einem freien Willen begabt und könne so seine Entscheidungen frei treffen. Die Frage der Philosophie nach der Existenz eines freien Willen ist beinahe so alt, wie die Geschichte der Philosophie.
Der traditionelle Begriff der Willensfreiheit ist durch vier Inhalte bestimmt:
- Der Mensch ist Quelle seines Willens und Verursacher seiner Handlungen.
- Der Wille bzw. der Willensakt geht den Handlungen voraus und verursacht eine Handlung direkt und auf eine (im naturwissenschaftlichen Sinn) nicht-kausale Weise.
- Der Mensch könnte auch anders handeln bzw. hätte auch anders handeln können, wenn er nur wollte bzw. gewollt hätte.
- Der Mensch ist für seine Willenshandlungen persönlich verantwortlich und kann deshalb für deren Folgen zur Verantwortung gezogen werden.
Angesichts des enormen Aufschwungs der Hirnforschung in den vergangenen Jahren entsteht manchmal der Eindruck, unsere Wissenschaft stünde kurz davor, dem Gehirn seine letzten Geheimnisse zu entreißen. Doch hier gilt es zu unterscheiden: grundsätzlich setzt die neurobiologische Untersuchung des Gehirns auf drei verschiedenen Ebenen an. Die oberste erklärt die Funktion größerer Hirnareale…. Die mittlere Ebene beschreibt das Geschehen innerhalb von Verbänden von hunderten oder tausenden von Zellen. Und die unterste Ebene umfasst die Vorgänge auf dem Niveau einzelner Zellen und Moleküle. Bedeutende Fortschritte bei der Erforschung des Gehirns haben wir bislang nur auf der obersten und der untersten Ebene erzielen können,… (das Manifest, elf führende Neurowissenschafter über Gegenwart und Zukunft der Hirnforschung, http://www.gehirn-und-geist.de/artikel/852357&_z=798884; 19.10.2010, 16.13 Uhr). In den letzten Jahrzehnten haben die Fortschritte in der Neurowissenschaft zu diesem Thema viel neues Material geliefert; damit verbunden sind unter anderen die Namen Libet, Singer, Roth und Damasio. Es konnte gezeigt werden, dass es durchaus möglich ist, mit naturwissenschaftlich-experimentellen Methoden Antworten auf diese Fragen näher zu kommen und dass die Naturwissenschaften keinem Kategoriefehler unterliegen, wenn sie sich mit dieser Frage beschäftigen. Der Informatikprofessor Christof Koch schreibt dazu: Den Geisteswissenschaften ist es trotz oftmals heroischer Bemühungen über viele Jahrhunderte nicht gelungen, allgemein anerkannte Erkenntnisse zu entwickeln, wie die Kluft zwischen Körper und Geist, die als Leib-Seele-Problem bekannt ist, überwunden werden kann. …in den letzten Jahrzehnten haben wir (Anm. über die Neurowissenschaften) mehr über das Gehirn gelernt als in der gesamten Menschheitsgeschichte zuvor. …ob uns eine endgültige Theorie des Bewusstseins aus praktischen, methodischen oder ontologischen Gründen versagt bleiben wird, kann nur die Neurowissenschaft ergründen (in Geyer C., Hirnforschung und Willensfreiheit, zur Deutung der neuesten Experimente, Edition Suhrkamp 2387, 2004).
Gemäß der strengen Definition von Immanuel Kant ist der freie Wille der Anfang einer Kausalkette und hat somit selbst keine kausale Ursache. Arthur Schopenhauer definiert in seiner 1839 erschienenen Preisschrift über die Freiheit des Willens das Freie als das in keiner Beziehung Nothwendige, welches heißt von keinem Grunde Abhängige. Der freie Wille ist demnach ein Wille ohne vorhergehende Ursache, ohne Nothwendigkeit, der nicht durch Gründe, der damit durch gar nichts bestimmt würde. (Schopenhauer A., Werke in zehn Bänden, Band VI, Zürich 1977). Willensentscheidungen auf Grund von Emotionen und logischen Abwägungen sind also in diesem Sinne nicht frei. Der freie Wille darf – nach dieser strengen Definition – kein Motiv haben. Schopenhauer weist darauf hin, dass die Vorstellung eines von Ursachen unabhängigen Willens unserem Denken widerstrebt, weil hier das dem Denken zu Grunde liegende Kausalitätsprinzip aufgehoben wird. Unter der Voraussetzung der Willensfreiheit wäre jede Handlung ein unerklärliches Wunder – eine Wirkung ohne Ursache. Und wenn man den Versuch wagt, eine solches liberum arbitrium indifferentiae sich vorstellig zu machen, so wird man bald inne werden, dass dabei eigentlich der Verstand stille steht; er hat keine Form so etwas zu denken (Schopenhauer A. ebd.).
Die andere Definition von freiem Willen geht davon aus, dass sich Willensbildung im Rahmen der Naturgesetze abspielt. Als bedingte Willensfreiheit wird sie oft auch als Handlungsfreiheit bezeichnet. Gerne wird argumentiert, dass mit dem Wegfall der strengen Willensfreiheit im Sinne Kants unsere Gedanken und Entscheidungen vorherbestimmt seien. Der Wegfall zeigt lediglich, dass unsere Entscheidungen Ursachen haben. Diese Ursachen werden durch Emotionen, Verstand und Informationen, die wir über unsere Sinne erhalten erzeugt. Die Verantwortung für unsere Willensentscheidungen geben wir dadurch nicht ab. Gleichzeitig sind wir als Menschen unseren Emotionen nicht hilflos ausgeliefert, wir können mit Hilfe des Verstandes abwägen, ob wir den Emotionen folgen. Aus dem Erleben äußerer Freiheit schließen die Menschen auf die Existenz innerer Freiheit.
Die Existenz von äußerer Freiheit im Sinn von Handlungsfreiheit ist weitgehende unstrittig, ob es eine innere Freiheit im strengen Sinn der Kant‘schen Willensfreiheit gibt, kann nach heutigem Stand der Wissenschaft nicht entschieden werden, Hirnforschung und Psychologie geben jedoch deutliche Hinweise, dass es sich beim freien Willen um eine Illusion handeln dürfte.
Subjektiv ist jeder von uns überzeugt, einen freien Willen zu besitzen, darauf sind wir als Menschen stolz; er ist Teil unserer Ich-Existenz, die oberste Instanz unseres Bewusstseins, die Voraussetzung für unsere Vernunft. Wir sind der Überzeugung, so frei zu sein, dass wir zu jeder Zeit etwas Unvorhersehbares, Unberechenbares tun können. Schopenhauer formuliert es so: Ich kann thun, was ich will: Ich kann, wenn ich will, alles, was ich habe den Armen geben und dadurch selbst einer werden, – wenn ich will! – Aber ich vermag es nicht, es zu wollen; weil die entgegenstehenden Motive viel zu viel Gewalt über mich haben, als daß ich es könnte. Hingegen wenn ich einen anderen Charakter hätte, und zwar in dem Maße, daß ich ein Heiliger wäre, dann würde ich es wollen können; dann aber würde ich auch nicht umhin können, es zu wollen, würde es also thun müssen (Schopenhauer A. ebd.). Wille und Handlung sind demnach erklärbar aus dem Charakter eines Menschen und der Situation, in der er sich im Augenblick der Entscheidung befindet.
Logische Regeln und Motive sind Grundlagen für Entscheidungen. Selbst absichtlich unlogische Entscheidungen wären kein Gegenbeweis, denn die Beweisabsicht ist letztlich eine berechnende Handlung. Logische Entscheidungen folgen Algorithmen und sind damit deterministisch vorherbestimmt, sie können also nicht als frei bezeichnet werden. Auch Entscheidungen auf Grund von Emotionen erfüllen die Bedingungen nicht, sie als frei zu bezeichnen. Emotionen entstehen im unbewusst arbeitenden Limbischen System des Gehirns. „Limbisch“ nenne ich … diejenigen Strukturen, die mit emotional – affektiven Zuständen in Verbindung mit Vorstellungen und Gedächtnisleistungen, Bewertung, Auswahl und Steuerung von Handlungen zu tun haben, und zwar unabhängig davon, ob diese Leistungen und Zustände bewusst oder unbewusst ablaufen (Roth G., Fühlen, Denken, Handeln: wie das Hirn unser Verhalten steuert, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003). Grundlage sind die Informationen, die wir mit unseren Sinnesorganen von unserer Umwelt erhalten im Zusammenspiel mit der aktuellen, körpereigenen Biochemie und unbewussten Gedanken. Unser Ich-Bewusstsein hat nicht den geringsten Einfluss auf diese Dinge. Solche Entscheidungen können daher ebenfalls nicht als frei bezeichnet werden.
Wenn wir zum Beispiel aufgefordert werden, eine Karte aus einem Stapel zu ziehen, so ist diese Entscheidung meistens weder logisch noch emotional begründbar und schon gar nicht berechenbar, sie ist zufällig. Zufällige Entscheidungen sind allerdings mit Algorithmen nicht erklärbar, er gibt also neben dem Determinismus zu einem geringen Ausmaß den Zufall. Erst mit der Formulierung der Quantenmechanik hielt der Zufall Einzug in die Physik; mit Hilfe der Chaostheorie konnte außerdem gezeigt werden, dass der Determinismus der zu Grunde liegenden Gesetze keineswegs bedeutet, dass Ergebnisse absolut vorhergesagt werden können.
Die meisten Philosophen verknüpfen den freien Willen mit unserer Vernunft, denn nur wer frei entscheiden könne, könne vernünftig bzw. moralisch handeln. Der freie Wille des Menschen steht jedoch im Widerspruch zum Kausalitätsprinzip, nach dem alles eine Ursache habe, so auch unsere Entscheidungen. Auch Kant war dieser Widerspruch bewusst, er löste ihn, indem er die Vernunft dem Kausalitätsprinzip enthebt; …keine gegebene Handlung kann von sich selbst anfangen. Aber von der Vernunft kann man nicht sagen, dass vor demjenigen Zustande, darin sie die Willkür bestimmt, ein anderer vorhergehe, darin dieser Zustand selbst bestimmt wird. Denn da die Vernunft selbst keine Erscheinung und gar keinen Bedingungen der Sinnlichkeit unterworfen ist, so findet in ihr, selbst in Betreff ihrer Kausalität, keine Zeitfolge statt, und auf sie kann also das dynamische Gesetz der Natur, was die Zeitfolge nach Regeln bestimmt, nicht angewandt werden (Kant I.; Kritik der reinen Vernunft, 1787, Reclam, Stuttgart 1966).
Im alltäglichen Gebrauch hat der Begriff Vernunft eine klare Bedeutung, der von der jeweiligen Gesellschaft und ihren Traditionen beeinflusst wird. Vernünftige Handlungen sind zielgerichtet und moralisch. Kant jedoch hat den Begriff Vernunft neu definiert. Er führt zunächst den Oberbegriff Substanz ein. Darunter versteht er zum Einen die Materie mit ihren Eigenschaften der Undurchdringlichkeit und Beharrungsvermögen, zum Anderen definiert er eine nicht-materielle Substanz, zu der er die Vernunft zählt. Vernunft ist nach Kant also nicht Teil der physischen Welt sonder ein „Ding an sich“. Als „Ding an sich“ ist die Vernunft der naturgegebenen Kausalität enthoben und der empirischen Erfahrung nicht zugänglich. Kant postuliert auch eine klare Trennung zwischen Vernunft und Verstand.
Fragt man sich nach dieser Definition schon, ob Vernunft in dieser Weise überhaupt existiert, so können wir aus unserer Sicht der Funktionsweise des Gehirns als neuronalem Netz und seiner Organisation in Funktionsgruppen den Kant’schen Ideen nicht mehr folgen. Drei Komponenten sind es, die seit Kant die Diskussion um die Willensfreiheit bestimmen: erstens das Anderskönnen, d.h. unter identischen Bedingungen hätte ich auch anders handeln können; zweitens die Intelligibilität, d.h. aus (guten) Gründen, nicht aber aus Ursachen (Zwängen) handeln; und drittens die Urheberschaft, d.h. das Verursachen einer Handlung, ohne selbst verursacht zu sein. Wie gezeigt werden kann, sind diese Komponenten nur unter weitreichenden metaphysischen Annahmen, die mehr Probleme schaffen als sie lösen, überhaupt ernsthaft zu erwägen (Roth G., Fühlen, Denken, Handeln: wie das Hirn unser Verhalten steuert, Suhrkampverlag, Frankfurt am Main 2003).
Das Limbische System, der Sitz des emotionalen Gedächtnisses und der Organisator des kognitiven Gedächtnisses, steuert zumindest einen erheblichen Teil unserer Gedanken und Handlungen, die wir nicht als unmittelbar logisch zwingend sondern als spontan und gefühlsbedingt verursacht sehen. Im Limbischen System steckt das, was man als Handlungsautonomie bezeichnen könnte. Dieser Bereich arbeitet weitgehend unbewusst. Das Ich-Bewusstsein wirkt bestenfalls beratend auf die Handlungen ein, die es als selbst veranlasst sieht. Insofern ist die subjektiv empfundene Willensfreiheit eher eine nachträgliche Rechtfertigung unserer Handlungen, während in Wahrheit die höchste Kontrollinstanz das unbewusst arbeitende limbische System ist. Das, was wir als freie Entscheidung erfahren, ist nichts als eine nachträgliche Begründung von Zustandsveränderungen, die ohnehin erfolgt wären (Hirnforscher Wolf Singer in Singer W., der Beobachter im Gehirn, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1571, Frankfurt/Main 2002).
Niemand zweifelt, dass das Gefühl eines freien Willens existiert. Das Gefühl der Willensfreiheit ist allerdings kein Beweis für die Existenz eines freien Willens. Unter Naturwissenschaftlern wird die Willensfreiheit zunehmend als Fiktion angesehen. Ihnen gegenüber steht die Theologie, die auf der Existenz eines freien Willens beharrt. Zusammenfassend gibt es etwa die drei folgenden Standpunkte zum Problem der Willensfreiheit:
- Es gibt keinen freien Willen, sonder nur ein Gefühl des freien Willens.
- Es gibt einen freien Willen, der naturwissenschaftlich mit dem Zugriff auf einen indeterministischen Zufallsgenerator erklärt werden kann.
- Es gibt einen freien Willen, der mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht erklärbar ist.
- These: es gibt keinen freien Willen
Eine Reihe von psychologischen Tests unterstützt diese These, so zum Beispiel das klassische Experiment des Neurophysiologen Benjamin Libet (1979). Libet forderte Probanden auf, innerhalb von drei Sekunden spontan einen Finger zu bewegen und sich den Zeitpunkt ihrer Entscheidung an Hand der vor ihnen stehenden Uhr zu merken. Zur objektiven Überprüfung wurden die Muskelkontraktionen über EMG festgestellt und das Bereitschaftspotential des Gehirns mit einem EEG gemessen. Das Experiment zeigte, dass sich das Bereitschaftspotential bereits 350 msec vor dem wahrgenommenen Entschluss bildete.
Noch mehr Grund zum Nachdenken geben die Ergebnisse aktueller Untersuchungen. Bei Probanden wurden bestimmte Hirnareale, die für die Bewegung bestimmter Glieder zuständig sind, (Brodmann’sche Felder) mit elektromagnetischen Wellen stimuliert, was zu einer Bewegung in den zugeordneten Gliedern führt. Das Erstaunliche bei diesem Experiment ist, dass die Probanden nachher behaupteten, dass sie genau in diesem Augenblick das entsprechende Glied bewegen wollten.
Mit den Ergebnissen dieser Experimente den Tod der Idee der Willensfreiheit zu postulieren, wäre zu weit gegriffen; und auch Libet wollte die Ergebnisse seines berühmten Experiments nicht so verstanden wissen. Dennoch müssen wir uns mit den Beiträgen der Hirnforschung zur wissenschaftlichen Anthropologie befassen, die konsequent und empirisch gestützt den cartesianischen Dualismus von Körper und Geist widerlegen (vgl: Damasio A., wie Gefühle unser Leben bestimmen, München 2003). … Das bedeutet, dass man widerspruchsfrei Geist, Bewusstsein, Gefühle, Willensakte und Handlungsfreiheit als natürliche Vorgänge ansehen wird, denn sie beruhen auf biologischen Prozessen … Geist und Bewusstsein – wie einzigartig sie auch von uns empfunden werden – fügen sich also in das Naturgeschehen ein und übersteigen es nicht. Geist und Bewusstsein sind nicht vom Himmel gefallen, sondern haben sich in der Evolution der Nervensysteme allmählich herausgebildet. Das ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis der modernen Neurowissenschaften (das Manifest, elf führende Neurowissenschafter über Gegenwart und Zukunft der Hirnforschung, http://www.gehirn-und-geist.de/artikel/852357&_z=798884; 19.10.2010, 16.13 Uhr).
Die wissenschaftliche Beweislast gegen den cartesianischen Dualismus und für einen naturwissenschaftlichen Monismus ist erdrückend. Wolf Singer, Direktor des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in Frankfurt am Main: alles, was wir in dualistischen Leib-Seele-Modellen gern dem Geistigen zuschreiben, ist rein biologisch bedingt. Und diese Verletzung unseres überlieferten Selbstverständnisses tut weh – auch dem, der die Erkenntnisse zu Tage fördert (in Gehirn & Geist, Angriff auf das Menschenbild, Hirnforscher suchen neue Antworten auf alte philosophische Fragen, Sonderheft Nr. 1/2003). Damit ist jedoch nicht nur dem cartesianischen Dualismus sondern auch der Idee der Willensfreiheit, die diesen Dualismus voraussetzt, das Fundament entzogen. Man mag jetzt meinen, dass Neurowissenschaftler wie Wolf Singer und Gerhard Roth mit ihrer These von der Widerlegung der Willensfreiheit allein dastünden oder eine neue Diskussion begonnen hätten; sie liefern jedoch bloß Belege für eine Auffassung, die im Rahmen der Natur- und Sozialwissenschaften längst etabliert ist. Sie stehen in einer Reihe mit Freud und Skinner, Marx und Weber, Darwin, Haeckel und Einstein (Ich glaube nicht an die Freiheit des Willens. … Diese Erkenntnis der Unfreiheit des Willens schützt mich davor, mich selbst und die Mitmenschen als handelnde und urteilende Individuen allzu ernst zu nehmen und den guten Humor zu verlieren. Einstein A., wie ich die Welt sehe; in Einstein A., mein Weltbild, Gütersloh o.J.), Spinoza, La Mettrie, Hume, Schopenhauer und Nietzsche.
Besonders Naturwissenschaftler lehnen die These, dass Handlungen ihren Ursprung in einer Person haben könnten, die außerhalb des normalen Naturzusammenhangs steht und auf diesen Naturzusammenhang einwirken könnte, vehement ab. Manche sprechen sogar von metaphysischen Zumutungen (Prinz W., Freiheit oder Wissenschaft, in v. Cranach M. u. Foppa K., Hrsg., Freiheit des Entscheidens und Handelns, Heidelberg: Roland Asanger, 1996). Die erste dieser Zumutungen besteht in seinen Augen in der Annahme, dass es einen grundsätzlichen Graben zwischen Psychischem und Physischem gibt, dass das Psychische außerhalb der physischen Welt eine Art von Cartesischem Eigenleben (ebd.)führt. Die zweite Zumutung beruht auf der ersten; sie besteht in der Auffassung, dass das Psychische nicht nur ein außerphysisches Eigenleben führt, sondern darüber hinaus sogar in der Lage ist, auf den Bereich des Physischen kausal einzuwirken (ebd.).
Der Psychologe Daniel Wegner schreibt in seinem Buch, The Illusion of Conscious Will, dass unsere Erfahrung, eine Handlung gewollt zu haben, nicht beweist, dass der Wille diese Handlung auch selbst verursacht hat … die Maschine Mensch (hat) sich bislang erfolgreich davon überzeugt, über einen freien Willen zu verfügen. Doch mit Experimenten und genauem Hinsehen lässt sich zeigen, dass die subjektive Erfahrung der eigenen Willenskraft lediglich eine Zutat und keine reale Grundlage unseres Handeln darstellt (Wegner, D. M., The Illusion of Conscious Will, Verlag B&T; Auflage: New Ed, September 2003). Für ihn ist diese Erfahrung eine nachträgliche Rechtfertigung für unsere Handlungen; er nennt die Erfahrung des Wollens des Geistes bester Trick (Wegner D. M., the mind’s best trick: how we experience conscious will, in TRENDS in Cognitive Sciences, Vol. 7, No.2, Feb. 2003), es handle sich nur um scheinbare mentale Ursächlichkeit (Wegner D. M. and Erskine J. A. K., Voluntary involuntariness: Thought suppression and the regulation of the experience of will, in Consciousness and Cognition 12/2003). In seinen Untersuchungen zeigte sich, dass sich Testpersonen sehr stark von anderen Personen in ihren Handlungen beeinflussen ließen, dies aber hinterher bestritten. Für Wegner ist die evolutionäre Entwicklung des Gefühls der Willensfreiheit damit zu erklären, dass man in einer Gemeinschaft besser funktioniert, wenn man sich selbst als Akteur sieht.
Die These, es gibt keinen freien Willen, wirft ein prinzipielles, philosophisches Problem auf. Willensfreiheit kann auch als „Anders-Können“ definiert werden, womit gemeint ist, dass eine Person X zu einem bestimmten Zeitpunkt A auch anders hätte entscheiden können. Damit taucht die Frage auf, wie moralisches Handeln ohne Willensfreiheit möglich ist, wie ethische Grundsätze entstehen. Dem theologischen Ansatz genauso wie dem Ansatz von Kant ist damit die Grundlage entzogen.
Kant in Kritik der praktischen Vernunft: Die Autonomie des Willens ist das alleinige Prinzip aller moralischen Gesetze und der ihnen gemäßen Pflichten; alle Heteronomie der Willkür begründet dagegen nicht allein gar keine Verbindlichkeit, sondern ist vielmehr dem Prinzip derselben und der Sittlichkeit des Willens entgegen. Kants Argumentation ist nicht wirklich überzeugend. Eine Handlung ist für ihn nur dann moralisch, wenn sie ausschließlich aus Achtung vor dem Sittengesetz geschieht, den utilitaristischen Ansatz, dass Moral auch auf dem Streben nach dem eigenen Glück durch Anerkennung der gemeinsamen Regeln der Gemeinschaft beruhen kann, lässt er nicht gelten.
Kant erkennt als Grundlagen für moralisches Handeln ausschließlich die Vernunft an. Damit steht er in Gegensatz zu Schopenhauer, der auch empirische Erfahrungen nicht ausschließt. Gegen Kant wäre einzuwenden, wie soll denn ein moralisches Gesetz denn in unser Hirn kommen, wenn nicht durch Erfahrung, durch Lernen. Moral bezieht sich auf das Zusammenleben von Menschen, wie aber soll denn eine solche Einsicht zustande kommen, wenn nicht durch gemeinsame Erfahrung?
Triebkräfte für unsere Handlungen sind unsere subjektive Werteskala und Motive, die sich neben genetischen Anlagen durch Erfahrungen in der Interaktion mit der Außenwelt herausbilden. Die Handlungen erfolgen damit zumindest überwiegend algorithmisch. Die subjektive Werteskala ist ein Produkt aus subjektiven Erfahrungen, inneren – vom Verstand verursachten – Erfahrungen, und der körpereigenen Biochemie.
In Zusammenhang mit der These, es gebe keinen freien Willen, taucht sehr oft die Frage auf, ob nicht Menschen, die die Freiheit des Willens ablehnen, womöglich unmoralischer und unsozialer handeln als andere und sich aus der Verantwortung für ihr Tun stehlen, nach dem Motto – ich bin nun einmal, wie ich bin. Diese Argumentation unterscheidet nicht zwischen ethischer Rechtfertigung und moralischer Entschuldigung ihrer Taten. Menschen und ihr Tun und Wollen zu verstehen zu versuchen, bedeutet zwar, dass wir sie insofern entschuldigen, als dass wir ihnen nicht vorwerfen, dass sie sind, wie sie sind. Es bedeutet jedoch nicht, dass wir ihr Tun und Wollen rechtfertigen. Wir müssen lernen, die ethische Frage nach der objektiven Verantwortbarkeit einer Tat von der moralischen Scheinfrage nach der subjektiven Verantwortung des Täters, der Schuld des Täters zu trennen. Abgesehen von diesen grundsätzlichen Überlegungen ist der Einwand in sich selbst widersprüchlich. Wenn das Ablehnen der Willensfreiheit dazu führte, dass sich die Menschen inhumaner verhielten, so würde das bedeuten, dass der Wille des Menschen nicht frei ist, sondern u.a. davon bestimmt wird, ob die Idee der Willensfreiheit gesellschaftlich akzeptiert wird oder nicht. In diesem Fall würde die Idee der Willensfreiheit strategisch missbraucht werden.
- These: der freie Wille ist Zufall
Wenn wir Zahlen aus einem sogenannten Zufallsgenerator erhalten, steht dahinter ein Computerprogramm, das nach genauen wenn-dann-Bedingungen die Zahlen produziert. Da dahinter ein Algorithmus steht, ist dieses Programm deterministisch, es handelt sich um pseudozufällige Zahlen. Diese Zufälligkeit ist nicht Thema unserer Überlegungen.
Anders ist es, wenn wir uns mit der Zufälligkeit beschäftigen, die Thema der Chaosforschung ist (z.B. Wetter). Zum Teil lassen sich diese Probleme in Form von Differentialgleichungen darstellen. Winzige Änderungen der Ausgangsbedingungen können nach einer gewissen Zeit zu sehr großen Änderungen führen, die nicht mehr vorhersagbar sind (z.B. Fallen einer Kugel auf einer nach außen gewölbten Oberfläche).
Beim Schaltverhalten von Neuronen gehen aufeinander folgende elektrische Impulse ein, gleichzeitig spielt die aktuelle Konzentration von Neurotransmittern eine Rolle. Bereits in diesen Größen gibt es geringe statistische Unterschiede; damit wären zwar die Ergebnisse noch immer deterministisch vorausbestimmt aber nicht mehr berechenbar, eben wie die Frage wohin die Kugel fällt. Es gibt rückgekoppelte Neurone; kleine Schwankungen in der Impulsrate oder in der Konzentration der Neurotransmitter, deren Ursache winzige Veränderungen in einzelnen Synapsen sind, können so über Rückkopplung zu einer spontanen Wirkung in ganzen Netzen führen. Die Veränderung von Hemmung oder Erregung, die sich über das gesamte Hirn ausbreitet, kann einen epileptischen Anfall verursachen, geradezu das Musterbeispiel von chaotischem Verhalten.
Eine zweite Form von physikalischer Zufälligkeit finden wir in der Quantenphysik. Hier ist Zufälligkeit ein Naturgesetz vgl. Heisenberg’sche Unschärferelation. Es gibt nun Physiker, wie z.B. Roger Penrose, die behaupten, dass nur der Zugriff auf die Quantengravitation einen freien Willen begründen kann. Es bleibt das Problem, wie die Verbindung zu den Denkprozessen in unserem Hirn hergestellt werden kann, denn eine Kopplung von Gravitation und Quantenmechanik ist normalerweise nur bei extremen physikalischen Bedingungen – z.B. in einem Schwarzen Loch möglich. Roger Penrose hat das in seinem Buch Schatten des Geistes versucht, bleibt dabei aber absolut spekulativ. Gerade als Physiker müsste er sich Ockhams Rasiermesser stellen.
Wie kann nun der Zufall tatsächlich Einfluss auf unser Denken nehmen. Wenn wir ein Problem lösen wollen, so könnte stark vereinfacht in etwa Folgendes ablaufen. Zunächst werden alle relevanten im Gedächtnis gespeicherten Informationen abgerufen, dann werden diese unzusammenhängenden Informationen miteinander verknüpft. Die Ergebnisse dieses Verknüpfungsprozesses werden nun auf der nächsten Ebene nach Algorithmen auf ihre Brauchbarkeit überprüft (Bewertungsfilter), die vermeintlich beste Lösung wird dann ausgewählt und führt dann zu einem Willensakt. (Es) tritt das „Spiel der Gedankenkräfte“ auf den Plan. Wir überlegen hin und her, wägen Argumente ab, bedenken die Konsequenzen möglichen Tuns usw. Ob und in welchem Maße aber das, was diese Gedankenspiele zum Ergebnis haben, in die Tat umgesetzt wird, entscheidet nicht das kognitive, sondern das limbische System (Roth G., Fühlen, Denken, Handeln: wie das Hirn unser Verhalten steuert, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003).
Menschliches Denken ist nicht zu 100 Prozent berechenbar, denn in unserem Gehirn können auch grundlegend statistische Zufälligkeiten eine Rolle spielen. Das ist jedoch an sich noch kein Nachweis des freien Willens, sondern zeigt nur, dass freier Wille im Einklang mit Naturgesetzen möglich sein kann. Offen bleibt die Frage, ob unser Gehirn den physikalisch möglichen Zugriff auf indeterministische Vorgänge wirklich nutzt. Ein Beispiel für Zufälligkeit ist die unmotivierte Spontaneität unserer Gedanken. Manchmal kommt uns etwas in den Sinn, ohne, dass wir einen Grund dafür ausmachen können.
Was dieser Form des freien Willens allerdings fehlt, ist dass er nicht motiviert und zielgerichtet ist sondern, dass im Gegenteil wir Menschen damit der Willkür einer Art Zufallsgenerators ausgeliefert sind. Dieser Wille, der ein Ziel hat, wäre aber im Sinne Kants auch nicht mehr frei. Ein motivierter Wille wird von unserer Emotion oder unserem logischen Denken erzeugt; er hat damit eine kausale Ursache und ist somit deterministisch. Wie brauchbar eine Freiheit ist, die sich von indeterministischen Zufällen ableiten lässt und ob man daraus Grundlagen für moralisches Handeln ableiten kann, bleibt dahingestellt.
- These: der freie Wille ist zusammen mit der Seele eine mystische Substanz
Diese These steht in der philosophischen Tradition des Dualismus, angefangen bei Platons Welt der Ideen über das cartesianische Modell von Körper und Geist, Kants Ding an sich bis zu Karl Poppers Welt 2, die Welt der individuellen Wahrnehmung und des Bewusstseins. Willensfreiheit – verstanden als „auch-anders-können“ ermöglicht es auf der einen Seite dem einzelnen Menschen, Verdienste für ein besseres Jenseits zu sammeln, wenn er sein Wollen beherrscht, auf der anderen Seite macht es den Menschen schuldig, weil er sich aktiv gegen ein Gebot entschieden habe. Nietzsche bezeichnet den freien Willen in diesem Zusammenhang als Folterinstrument, …der Begriff Sünde erfunden samt dem zughörigen Folterinstrument freier Wille, um die Instinkte zu verwirren, um das Misstrauen gegen die Instinkte zur zweiten Natur werden zu lassen (Nietzsche F., Ecce homo, Werke in drei Bänden, München 1954).
Die Idee einer unsterblichen Seele und deren Verantwortung vor Gott erfordere die unbedingte Freiheit des menschlichen Willens. Es ist der Versuch, Gott von der Verantwortung für das Böse in der Welt freizusprechen. Allerdings landet man mit dieser Argumentation sehr schnell mitten in der Theodizee. Für Kant stellt der freie Wille keinen Konflikt zur Existenz eines Gottes dar. Er geht im Gegenteil so weit, aus der Existenz eines freien Willens und einem moralischen Grundgesetz auf die Existenz eines Gottes zu schließen. Alle diese Theorien haben das Problem, dass für sie keinerlei naturwissenschaftliche Beweise existieren, noch dass sie durch Denken bewiesen oder widerlegt werden können. Sie stehen jenseits aller wissenschaftlichen Zugänge, sie können nur geglaubt werden.
Mir scheint, die Überlegungen, ob der Wille des Menschen frei sei, haben durchaus konkrete Auswirkungen auf unser Tun als Maurer. Unser Ziel ist die Veredelung der Menschheit auf dem Weg der Veredelung des einzelnen Bruders. Unsere Werkzeuge dazu sind Selbsterkenntnis und Selbstbeherrschung.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es die starke Hand der Selbstbeherrschung, mit der wir uns selbst am Riemen reißen, in der Form wohl wirklich nicht gibt, Schopenhauer: der Mensch kann tun, was er will, aber nicht wollen, was er will. Gleichzeitig müssen wir zur Kenntnis nehmen, das FM seit rund 300 Jahren funktioniert, obwohl doch die Willensfreiheit, das auch-anders-Tun, eine liebgewordene Illusion ist. Was tun wir also, um unsere Ziele zu erreichen, um uns selbst zu veredeln?
Woche für Woche, jahraus, jahrein treffen wir einander zu unseren Arbeiten. Wir hören und erleben das Ritual und üben uns im brüderlichen Gespräch. Damit arbeiten wir bei jeder Arbeit daran, unsere unbewussten Prägungen zu verändern. Das geschieht in einmal größeren, einmal kleineren Schritten. Ich vermute, dass unser Ritual den Versuch darstellt, innere Handlungsfreiheit durch den Abbau innerer Zwänge (wieder)herzustellen. In dem Maß als unsere Erfahrungen andere werden, in dem Maß wird unser Wollen ein anderes. Gerade weil es diese brachiale Selbstbeherrschung nicht gibt, sind wir nicht aus der Verantwortung entlassen, an uns selber zu arbeiten, was wir gemeinsam eben in der Tempelarbeit und im brüderlichen Gespräch tun. Unsere Selbsterkenntnis sagt uns, dass wir uns nicht selbst entschieden haben, so zu sein wie wir sind. Umso mehr ergeht an uns der Auftrag uns in Richtung größerer Humanität zu entwickeln. Im Grunde unterwerfen wir uns einem neuen Zwang, dem Zwang zur Humanität, vergleichbar Schopenhauers Heiligen, der gezwungenermaßen seine Habe den Armen überlassen muss.
Ich denke, dass die klassische Idee der Willensfreiheit – oder maurerisch Selbstbeherrschung – die Entwicklung des Einzelnen hin zu mehr Humanität eher hemmt als fördert. Wenn nämlich das, was ich erreicht habe nur von mir und meinem freien Willen abhängt, so bin ich als unbewegter Beweger allein verantwortlich für das, was ich tue und getan habe, nicht tue und nicht getan habe. Wenn ich etwas weiterbringe, dann nur, weil ich es bin, der etwas weiterbringt, wenn ich versage, bin ich ein Versager. Ist meine Bilanz negativ, so entstehen in mir Minderwertigkeits-, Scham- und Schuldgefühle; ist die Bilanz hingegen positiv, so erfüllt mich Stolz aber auch Arroganz und Überheblichkeit. Allerdings hemmen sowohl die positive genauso wie die negative Bilanz meine angestrebte Veränderung hin zu größerer Humanität, denn ich bleibe ich-fixiert, gefangen in Selbstwert dienlichen Wahrnehmungsverzerrungen in Bezug auf Umwelt und eigene Person. Zu kritischer Selbst- und Fremdanalyse bin ich unter dieser Voraussetzung nicht mehr fähig. Hier ist der Spiegel des Bruders gefragt, des Bruders, der genauso wie ich das Ruder nicht herumreißen kann, des Bruders, der meine brüderliche Liebe genauso braucht, des Bruders, der mit mir am Tempel der allgemeinen Menschenliebe baut, der mit mir als neue Erfahrung aus jeder Arbeit mitnimmt, dass Menschlichkeit möglich ist.
Ich denke, wenn wir uns von der Idee der Willensfreiheit und damit von dem Modell der brachialen Selbst-beherrschung verabschieden, können wir uns besser hin zum Humanen entwickeln, wenn wir nur prinzipiell humaner werden wollen. Der Menschenfreund und der Massenmörder unterscheiden sich nicht darin, dass der eine einen freien Willen besitzt und er andere nicht. Sie unterscheiden sich darin, dass sie von unterschiedlichen Zwängen befreit sind und damit unterschiedlichen Zwängen unterworfen sind. Der „Wille zum Inhumanen“ lässt sich nur dadurch beeinflussen, dass wir die strukturellen Kopplungen, den Kontext ändern, die Aufgabe der FM.
Literatur
- Beschermann A, Willensfreiheit in einer natürlichenWeltordnung, http://bieson.ub.uni-bielefeld.de/volltexte/2008/1340/pdf/wille_gap_v2.pdf, 25.10.2010, 14.55 Uhr
- Damasio A. R., Ich fühle also bin ich, die Entschlüsselung des Bewusstseins, List, Berlin 2000 – 2009
- Grün K. J., Kann ich wollen, was ich will? Arthur Schopenhauers Betrachtungen der Willensfreiheit, in sicetnon, zeitschrift für philosophie und kultur im netz
- Libet B., Mind Time, wie das Gehirn Bewusstsein produziert, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2007
- Pauen M., Roth G., Freiheit, Schuld und Verantwortung. Grundzüge einer naturalistischen Theorie der Willensfreiheit, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2008
- Roth G., Fühlen, Denken, Handeln: wie das Hirn unser Verhalten steuert, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003
- Schmidt-Salomon M., Können wir wollen, was wir wollen? Unzeitgemäßes zur Theorie der Willensfreiheit, in Aufklärung und Kritik, Zeitschrift für freies Denken und humanistische Philosophie 2/1995
- Schmidt-Salomon M., Von der illusorischen zur realen Freiheit, autonome Humanität jenseits von Schuld und Sühne, Vortrag auf dem 10. Philosophicum Lech, in Liessmann K. P., die Freiheit des Denkens, Wien 2003
- Schneider R. U., das Libet-Experiment, http://www.bfg-bayern.de/ethik/download/Libet-Experiment.PDF, 19.10.2010, 21.00 Uhr
- Schopenhauer A., die beiden Grundprobleme der Ethik behandelt in zwei akademischen Preisschriften (Reprint der Originalausgaben)
- Seidel W., Das ethische Gehirn, der determinierte Wille und die eigene Verantwortung, Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2009
- Vowinkel B., Ist der Wille frei?, http://fowid.de/fileadmin/textarchiv/Willensfreiheit__Bernd_Vowinkel___TA-2008-10.pdf, 19.10.2010, 20.50 Uhr
Abstract
Das Baustück beschäftigt sich mit der These der Willensfreiheit.
Drei Positionen werden vorgestellt
- Es gibt keinen freien Willen, sonder nur ein Gefühl des freien Willens.
- Es gibt einen freien Willen, der naturwissenschaftlich mit dem Zugriff auf einen indeterministischen Zufallsgenerator erklärt werden kann.
- Es gibt einen freien Willen, der mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht erklärbar ist.
Der Autor vertritt die Ansicht, dass es aus naturwissenschaftlichen, neurophysiologischen genauso wie aus philosophischen Gründen keine Willensfreiheit gebe. Was es aber gebe, sei Handlungsfreiheit. Jeder Mensch, jeder Bruder sei verpflichtet, innere Handlungsfreiheit durch Abbau innerer Zwänge zu erreichen. Die Freimaurerei ist eine Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen.