Der rauhe auch rohe Stein, Pierre brute, Rough Ashlar, und der kubische, behauene Stein, Pierre cubique, Perfect Ashlar nehmen in der maurerischen Symbolik einen zentralen Platz ein. Beide gehören zusammen mit dem Reißbrett zu den sogenannten unbeweglichen Kleinodien der Freimaurerei; symbolisch stellen alle drei Lehrling, Geselle, Meister dar.
Der rauhe Stein liegt in unseren Logen an der Mitternachtsseite des Altars. Es ist ein Felsbrocken, im Steinbruch aus dem Muttergestein mit roher Gewalt herausgebrochen. Ecken und Kanten machen ihn für den Bau einer fest gefügten Mauer unbrauchbar. Dennoch kann ein Br... Freimaurer in ihm schon den zukünftigen Quader erkennen. Er ist das Sinnbild der Unvollkommenheit und des Verstandes, vor allem aber das Sinnbild des Lehrlings, der als neu in den Bund aufgenommener sich bemühen muss, seine Kanten und Ecken zu beseitigen, die seine Schwächen, Leidenschaften und üblen Gewohnheiten darstellen. Der Lehrling muss mit dem Spitzhammer der Energie den Stein bearbeiten – erkenne dich selbst, veredle dich selbst, beherrsche dich selbst. Der Maßstab soll ihm dabei genauso Hilfe sein wie der besondere Lehrlingsrhythmus, der auf Eifer, Fleiß und Ausdauer bei der Arbeit hinweist.
Der kubische Stein liegt in unseren Logen an der Mittagseite des Altars. Seine Flächen sind glatt, seine Kanten schneiden einander im rechten Winkel. Das Verhältnis der Kantenlängen ist variabel; es gibt genauso lange und dünne Steine, wie kurze und hohe oder perfekte Würfel, alle aber sind sie rechtwinkelige Quader, genauso wie die einzelnen Brüder verschieden sind.
Der kubische Stein stellt den vollkommenen Menschen in seiner ursprünglichen idealen geistigen Vollkommenheit dar, die er wieder erreichen soll. Zeit seines Lebens strebt der Maurer danach, seinem kubischen Stein diese ideale Form zu geben, die er erst mit seinem Tode erreichen wird. Er ist dem Gesellen anvertraut. Dieser vollendet die Form des vom Lehrling behauenen Steins, sodass dieser in die Wand des Tempels der Allgemeinen Menschenliebe eingesetzt werden kann. Wer zur Freimaurerei kommt, ist noch keineswegs ein vollkommener Mensch. Das Leben in der Loge, die Selbsterziehung, soll dazu dienen, den rauhen – zum behauenen, zum kubischen Stein zu gestalten, an den erst das Winkelmaß gelegt werden kann. Die feste Verbindung zwischen den Steinen, genauso wie den Ausgleich für allfällige Unebenheiten stellt der Mörtel der Brüderlichkeit, die Bruderliebe, dar.
Franz Karl Endres weist in seiner „Symbolik des Freimaurers“ darauf hin, dass der kubische Stein an die sozialen Pflichten des Freimaurers erinnert. Denn wie ein Tempel nicht einfach aus rohen Steinen entstehen kann, die übereinander getürmt werden, so kann keine soziale Gemeinschaft aus rohen, nur den eigenen Trieben lebenden Menschen bestehen. Das Behauen des Steines gleicht der sozialen Erziehung des Menschen und die Harmonisierung der Steinform erinnert an die Notwendigkeit von sittlichen Maßstäben, ohne die eine soziale Gemeinschaft undenkbar ist. Der kubische Stein wird so zu einem Symbol des geläuterten Gewissens, „das große soziale Symbol der Freimaurerei“.
Zeit seines Lebens soll der Maurer danach streben, seinem Stein die ideale, die kubische Form zu geben, die er erst mit seinem Tode erreichen wird. Dafür muss er Stärke genauso wie Weisheit anwenden; es nützt nichts, mit blinder Gewalt mit dem Schlegel auf den Stein einzudreschen, dieser würde zerstört werden. Es gilt, die natürlichen Bruchlinien zu erkennen und so den Kubus, den vollkommenen Menschen, freizulegen.