Als Meister ziehst du hinaus und beginnst ein neues Leben,[1] mit diesen Worten entlässt der MvSt den neuerhobenen Br... in sein weiteres Wirken als Freimaurermeister. Ziel eines Lebens als FM ist es, der zu werden, der man sein könnte. Dafür arbeiten die Brr... MM am Reißbrett, dort machen sie ihren Bauriss. Sie arbeiten mit dem Maßstab der Wahrheit, dem Zirkel der Pflicht und dem Winkelmaß des Rechts. Am Reißbrett setzen sie sich aktiv mit ihrem Leben auseinander, legen die Werkzeuge an ihre Pläne an und reflektieren ihre Ziele und Absichten. Frei vom Alltag und der Profanei sollen sich die Brr... MM bewusst werden, was den FM-M als solchen auszeichnet. Das geschlossene Buch ist der Auftrag selbst zu handeln. Das Geistige im Menschen zeigt sich im Bewusstsein der eigenen Verantwortlichkeit und in der Fähigkeit zur Sinnfindung. Der freie Mensch denkt über nichts weniger als über den Tod; und seine Weisheit ist nicht ein Nachdenken über den Tod sondern über das Leben[2], sagt Baruch de Spinoza.
Die auf Charles Darwin aufbauende moderne Evolutionstheorie legt nahe, dass es keinen Plan, keine Absicht und keinen vorgegebenen Sinn in unserer Welt gibt. Die verschiedenen Eigenschaften des Menschen, die einst seine „Sonderstellung“ begründen sollten – werden durch die moderne Evolutionstheorie einer naturwissenschaftlichen Beschreibung und Erklärung zugänglich. Das betrifft die kognitiven Leistungen genauso wie sein soziales und moralisches Verhalten. Insbesondere Bertrand Russell (1872 – 1970) betont, dass man dem objektiven Naturprozess keinen Sinn entnehmen kann.[3]
Auch der Glaube an ein sogenanntes Intelligent Design dient eher der Durchsetzung moralischer Ansprüche und der Durchsetzung politischer Macht als der Sinnstiftung.[4] Die Übel in der Welt, die alle Menschen als solche empfinden, lassen den Verdacht aufkommen, dass da eben keine weise Macht am Werk ist, die irgendwelche guten Absichten hegt. Das Leid unter den Menschen zeigt, dass es den vollkommenen Gott des Theismus, der sich um uns kümmert, nicht gibt.[5] Albert Einstein meinte, nach dem Sinn und dem Zweck des eigenen Daseins zu fragen, ist mir von einem objektiven Standpunkt aus stets sinnlos erschienen.[6]
Als Antwort auf diese Sinnleere folgen viele Menschen gerne selbsternannten Gurus, Propheten, Weltverbesserern und Politikern, die vorgeben, von Gott inspiriert zu sein, oder eine Heilslehre gefunden zu haben. Eine andere Möglichkeit der Flucht vor der Sinnleere ist die Flucht in Konsum, Drogen, Aggression, um diesem Zustand der eigenen existentiellen Lehre zu entgehen.
Solche Wege kommen allerdings für einen Br... FM-M, der aufgefordert ist, sich aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit[7] zu befreien und Herr seines eigenen Lebens zu werden, nicht in Frage. Der Br... M soll seinen Lebensplan entwerfen und damit seinem Leben Sinn geben. Der Sinn des Lebens ist die Bedeutung der individuell gegebenen Lebenszeit eines Menschen, die Deutung des Verhältnisses, in dem Mensch zu seiner Welt steht.[8]
Die Erfahrung, in eine Welt geworfen zu sein, die keinen Sinn vorgibt, erscheint vielen Menschen unerträglich. Der Wunsch, einen universellen Sinn finden zu können, scheint darin begründet zu sein, dass wir Menschen von Anfang an lernen, verschiedenen Objekten einen Zweck zuzuschreiben. Die Parallelität von Zweck und Sinn ist wahrscheinlich im Menschen tief verwurzelt, ohne deshalb eine Berechtigung zu haben. Die einzelnen Zwecke liefern nämlich keinen Beweis für den Sinn der Welt als Ganzes. Der Philosoph Julian Offray de la Mettrie (1709 – 1751) gibt eine kurze Antwort auf dieses Dilemma, es sei für unseren Seelenfrieden gleichgültig, ob die Materie ewig ist oder ob sie erschaffen wurde; ob es einen Gott gibt oder nicht.[9]
Auch Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) beschäftigte sich mit den Rahmenbedingen der menschlichen Existenz, wenn er schreibt: der Mensch eine kleine überspannte Tierart,… das Leben auf der Erde überhaupt ein Augenblick, ein Zwischenfall, eine Ausnahme ohne Folge, etwas, das für den Gesamtcharakter der Erde belanglos bleibt. … Gegen diese Betrachtung empört sich etwas in uns; die Schlange Eitelkeit redet uns zu „das alles muss falsch sein, denn es empört“.[10]
In seinem Buch der Mythos des Sisyphos entwickelt der französische Existenzialist, Philosoph und Literaturnobelpreisträger Albert Camus die Idee des Absurden, den unaufhebbaren Widerspruch zwischen der offenkundigen Sinnwidrigkeit der Welt und der ebenso offenkundigen Sehnsucht des Menschen nach Sinn. Intellektuell redlich könne sich der Mensch der Widersinnigkeit seiner Existenz nicht entziehen. Niemand bleibe gänzlich von der Erfahrung des Absurden verschont. Das Absurde, so Camus, kann jeden beliebigen Menschen an jeder Straßenecke anspringen.[11]
Zwar vermag uns der Alltag über die Mühen eines über weite Strecken glanzlosen Lebens hinweg zu tragen, doch manchmal stürzen die Kulissen ein, aufstehen, Straßenbahn, vier Stunden Büro oder Fabrik, Essen, … Schlafen, Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag, immer derselbe Rhythmus – das ist meist eine bequemer Weg. Eines Tages erhebt sich das Warum, und mit diesem Überdruss fängt alles an.[12]
Natürlich können wir bohrende Fragen nach dem „Warum“ oder dem „Wozu“ des Lebens verdrängen, indem wir die Antworten immer auf die Zukunft verschieben (mit den Jahren wirst du’s verstehen[13]). Doch irgendwann wird der Tag kommen, an dem es dieses „Morgen“ nicht mehr geben wird. Von Geburt an steuern wir mit erbarmungsloser Konsequenz auf diesen letzten Tag zu. Im tödlichen Licht dieses Verhängnisses, schreibt Camus, tritt die Nutzlosigkeit in Erscheinung. Keine Moral und keine Anstrengung lassen sich a priori vor der blutigen Mathematik rechtfertigen, die über uns herrscht.[14]
Auch ohne sinnvolles Universum können wir für uns selbst Sinn in unserem Leben finden, denn …die Akzeptanz der metaphysischen Sinnlosigkeit schafft erst den Freiraum für die individuelle Sinnstiftung[15]. Den Sinn meines Lebens kann ich nur in mir selbst finden. Dort ist auch der einzige Ort, um danach zu suchen. Der Sinn des Lebens liegt im Leben selbst, nicht im Streben nach einem Übersinn, einem über den Sinnen liegenden Sinn. Das Ziel und den Sinn meines Lebens auf ein allfälliges Leben im Jenseits zu verschieben und das Diesseits als sinnlos abzutun, birgt die Gefahr, die Chance eines lebenswerten Lebens zu verpassen. Der Glaube, dass das wahre Leben erst im Jenseits beginnt, degradiert das Diesseits zum Durchgangsstadium, zu einem Ort der Bewährung.[16]
Halbwegs günstige Rahmenbedingungen vorausgesetzt, sind wir Menschen in der Lage, uns an vielem zu erfreuen, Sinn zu empfinden. Damit besteht die realistische Chance, schon zu Lebzeiten Zufriedenheit, Glück und Freude zu erleben. Umgekehrt ist die Erfahrung der Sinnlosigkeit des eigenen Lebens die schlimmste Erfahrung, die es für einen Menschen gibt. Die Zahl der Menschen, die am eigenen Leben, an der eigenen Situation verzweifeln, ist sicher um einiges größer als die jener Menschen, die die Unermesslichkeit und Gleichgültigkeit des Universums verzweifeln lässt.[17]
Ob sich sein/das Leben lohne, ist für den Menschen von elementarer Bedeutung. Zum Problem wird Sinn üblicherweise erst, wenn er verloren geht, was zum Beispiel durch körperliche oder seelische Krankheiten, Verlust, Trennung, Einsamkeit, Abstumpfung usw. sein kann. Dann kann die Sinnfrage zum quälenden Problem werden, das sich bis zum Suizid steigert. Menschen können am Leben verzweifeln, aber die allermeisten halten dennoch am Leben fest, weil die natürliche Auslese Überlebens- und nicht Todesstrategien fördert. Selbsttötung ist die Ausnahme und nicht die Regel. Albert Camus resümiert in seinem Werk der Mythos des Sisyphos lapidar, es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord. Die Entscheidung, ob das Leben sich lohne oder nicht, beantwortet die Grundfrage der Philosophie.[18]
Die Evolution hat uns mit der Fähigkeit ausgestattet, das Leben als angenehm zu empfinden und uns selbst Glück und Zufriedenheit bescheren zu können. … Ein so entstehendes … Wohlgefühl entbindet uns von der erdrückenden Suche nach einem objektiven, kosmischen Sinn und entzieht sich jeder Zwangsbeglückung von Seiten derer, die dem Irrglauben anhängen, dass es diesen Sinn geben müsse.[19] Selbst in prekärer Lage können wir noch den einen oder anderen Haltegriff des Lebens benutzen und uns an den sogenannt kleinen Dingen freuen. Denn wir sollten unser Leben auch nicht unnötig schwer nehmen. …Sympathie für den Menschen muss da sein, und man muss auch die Sympathie der anderen erringen können. Selbst ohne höhere Ziele genügt das allein schon als Lebensziel, schreibt Fjodor M. Dostojewski (1821 – 1881)[20]
Dennoch lassen sich viele Menschen ihr Leben von bösartigen Zeitgenossen verekeln, deren einziges Ziel es ist, ihren Mitmenschen jede Lust und Lebensfreude zu nehmen. Dieser Versuch gelingt umso leichter, weil viele Menschen – wie es auch die Religionen lehren – das Leben von seinem Ende her sehen. Die ständige Sorge um die Zukunft und der Blick auf das Ende – den eigenen Tod genauso wie das Ende von allem – vertreiben sehr leicht die Freuden der Gegenwart oder lassen diese gar nicht erst zu. Es ist nur ein traditionsbeladenes Vorurteil, dass man sich permanent die Stimmung des Tages und die Freude des Augenblicks durch düstere Antizipationen (kosmischer) Endzeitlichkeit verderben lassen muss.[21]
Um glücklich zu sein, bedürfen wir weder eines höheren Wesens noch eines Universums, das an unseren Geschicken fürsorglich Anteil nimmt. Glück finden wir oft in ganz banalen Dingen und Ereignissen, und wahrscheinlich zeichnet einen glücklichen Menschen gerade die Fähigkeit aus, auch in scheinbar unbedeutenden kleinen Ereignissen und Begegnungen das zu erkennen, was ihm Freude bereiten kann. Klar ist freilich auch, dass es so etwas wie dauerhaftes Glück nicht gibt. Wahrscheinlich wäre ein solcher Zustand auch nicht auszuhalten und schließlich langweilig. Denn wenn immer alles reibungslos funktioniert, nie Probleme den eigenen Wünschen entgegenstehen und immer alles ohne Anstrengung erreichbar wäre, dann würde sich wahrscheinlich auf Dauer ein Gefühl der Leere einstellen. Darum meint Camus auch, der Kampf gegen den Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen denken.[22]
Unter allen Lebewesen der Erde ist der Mensch das einzige, das um seine eigene Endlichkeit weiß. Eben dieses Wissen schafft die Grundlage für die Erfahrung des Absurden. Noch einmal Camus: wäre ich Baum unter Bäumen, Katze inmitten der Tiere, dann hätte dieses Leben einen Sinn oder dieses Problem hätte vielmehr keinen, denn ich wäre Teil dieser Welt. Ich wäre diese Welt, gegen die ich mich jetzt mit meinem ganzen Bewusstsein und mit meinem ganzen Anspruch auf Vertrautheit stemme. […] Mit diesem Augenblick tritt das Absurde, das so evident und gleichzeitig so schwer fassbar ist, ein in das Leben eines Menschen und wird dort heimisch.[23]
Dieses Wissen ist nicht einfach hinzunehmen, kann aber sehr wohl verdrängt werden, denn zu allererst sind wir damit beschäftigt, mit unserem Leben etwas anzufangen. Auch wenn wir uns unserer Sterblichkeit im Grunde permanent bewusst sind, so haben wir insgeheim den Wunsch nach Unsterblichkeit. Die Lehren der Religionen versuchen, darauf eine positive Antwort zu geben, und auch die Medizin arbeitet hart an der Lebensverlängerung bzw. an der Verzögerung des Alterns. Trotzdem muss sich jeder einzelne von uns seiner Endlichkeit stellen.
Der Tod eines Menschen bedeutet das Erlöschen sämtlicher Lebensfunktionen, was eine Fortexistenz des Geistes ausschließt. Geist ist nach modernem, naturwissenschaftlichem Verständnis eine Funktion des Gehirns, ein immaterielles Phänomen. Während man in alten Zeiten noch glauben konnte, dass der menschliche Geist als eigene Substanz unzerstörbar und unverändert aus jeder körperlichen Krankheit wieder auftaucht und auch den Tod des Leibes übersteht, hat uns die … Hirnforschung eines anderen belehrt. Nicht dem „Ich“ gehört das Gehirn …, sondern es ist genau umgekehrt: das „Ich“ gehört seinem Gehirn als bloße Funktionalität an.[24] Und damit sind alle Vorstellungen von einem Weiterleben nach dem Tod hinfällig.
Es gilt, die naturgegebenen Grenzen des Lebens zu akzeptieren, was gleichzeitig auch heißt, das Leben, so wie es ist, zu lieben und mit allen Facetten zu erleben. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in der besten Welt leben, die wir haben, denn eine andere ist uns wahrscheinlich nicht gegeben. Wenn ich davon ausgehe, dass dieses mein konkretes Leben, das einzige ist, das ich habe und das ich leben kann, so werde ich mit dieser Welt und meinem Leben sorgsamer umgehen, als jemand, der – immer noch – auf eine bessere Welt, ein besseres Leben im Jenseits hoffen kann oder im Sinne einer Wiedergeburt so etwas wie eine zweite Chance bekommt. Ich will mich nicht durch das Schielen auf ein besseres Jenseits um den Eigenwert meines Lebens betrügen. Erst der Tod macht das Leben wertvoll; gäbe es den Tod nicht, man müsste ihn wohl erfinden, um nicht ein Leben zu führen, das darin bestünde, das Leben aufzuschieben[25], meint der deutsche Philosoph Wilhelm Schmid.
Physisch bleibt vom einzelnen Menschen nichts zurück. Es müssen schon besonders günstige Umstände sein, dass von einem Menschen, der heute begraben wird, in einigen Jahrtausenden Fossilien gefunden werden; und auch dann ist es höchst unwahrscheinlich zu wissen, um wen es sich da konkret gehandelt habe. Eine Zeit lang bleibt die persönliche Erinnerung anderer Menschen an den Verstorbenen und seine geistigen Werke, so es überhaupt solche gibt, über seinen Tod hinaus bestehen, selten aber länger als zehn Generationen.26[26] Der eigentliche Skandal [des Todes] besteht in der Gewissheit, dass der Tod über kurz oder lang jede Bedeutung eliminiert, die wir unserem Leben gegeben haben. Was für uns erheblich war – die Freude, die wir erleben durften, das Leid, das wir ertragen mussten, die Anstrengungen, die wir auf uns nahmen – all dies wird letztlich irrelevant sein.[27]
Ludwig Wittgenstein (1889 – 1951) meint, wenn man unter Ewigkeit nicht unendliche Zeitdauer sondern Unzeitlichkeit versteht, dann lebt der ewig, der in der Gegenwart lebt. Unser Leben ist ebenso endlos, wie unser Gesichtsfeld grenzenlos ist.[28] Auch wenn dies im strengen Sinn der Fall ist, geht es doch dem Menschen um das Bewusstsein des Endes, dieses zu bewältigen, auch im Rahmen einer naturalistischen Weltauffassung. Darin liegt die Leistung einer auf das Diesseits begrenzten Lebensphilosophie. Die Lösung des Problems liegt nicht in dessen Verschwinden, wie Wittgenstein meint, weil man den Sinn der Welt nicht innerhalb ihrer selbst finden kann, sondern in einer Veränderung der Einstellung zur Kontingenz derart, dass man gar nicht mehr nach Objektivierung von Sinnstrukturen strebt. Im aktiven Verzicht auf das Unerreichbare, darin besteht die wahre Gelassenheit.[29]
Ein möglicher Umgang mit der Begrenztheit unseres Lebens wurde von Epikur (um 341 vuZ – 271/270 vuZ) vorgezeichnet. Dem Epikureer offenbaren die Sinne die Pracht und die Herrlichkeit der Welt, die er ohne Furcht vor den Schrecknissen einer religiösen „Hinterwelt“ genießt und – ohne Hoffnung auf die Freuden eines eingebildeten Jenseits – voll genießt.[30] Gemäß der Lehre Epikurs soll der Weise schon zu Lebzeiten vollendete Seelenruhe erlangen. Epikur spricht von einer lang anhaltenden Emotion, die er „hedoné“ – auf Deutsch am besten mit Lebensfreude übersetzt – nennt; gemeint ist auf jeden Fall ein langes, über Jahre hinweg andauerndes Glücksgefühl. Die Freude am Leben stetig auszukosten, macht die Kunst des epikureischen Weisen aus. Voraussetzung für dieses Glücksgefühl ist die dauernde Befriedigung der notwendigen und natürlichen Bedürfnisse, der Grundbedürfnisse.[31] Nach Epikur soll der Mensch mit seiner Vernunft nach einem glücklichen Leben streben und gleichzeitig maßvoll leben. Daher ist die vernünftige Einsicht sogar wertvoller als die Philosophie: ihr entstammen alle übrigen Tugenden, weil sie lehrt, dass es nicht möglich ist, lustvoll zu leben, ohne einsichtsvoll, vollkommen und gerecht zu leben, ebenso wenig, einsichtsvoll, vollkommen und gerecht zu leben, ohne lustvoll zu leben.[32]
Die Glückseligkeit habe einen doppelten Sinn, so Epikur. In höchster Bedeutung sei sie der Gottheit gleichartig, die keine Steigerung zulässt...[33] Und noch deutlicher: ich wüsste nicht, was ich mir überhaupt noch als ein Gut vorstellen kann, wenn ich mir die Lust am Essen und Trinken wegdenke, wenn ich die Liebesgenüsse verabschiede und wenn ich nicht mehr meine Freude haben soll an dem Anhören von Musik und dem Anschauen schöner Kunstgestaltungen.[34]
Es wird wohl jedem nicht immer leichtfallen, diese Haltung zur Welt und zum Leben einzunehmen; die Mühe würde sich allerdings lohnen. Wir sollten das Leben so lang und so gut es geht genießen, und es uns nicht schon vor dem Tod wegnehmen lassen. Ethiker und insbesondere Theologen waren und sind im Laufe der Geschichte bestrebt, uns Werte anzuerziehen, die den menschlichen Bedürfnissen diametral widersprechen; wie es schon in dem alten Sponti-Spruch heißt: alles, was Spaß macht, ist entweder verboten, unmoralisch oder macht dick.
Genuss als Grundeinstellung wird sehr oft abgelehnt; alles, was dem Menschen unmittelbares Wohlbefinden und Wohlbehagen beschert, wird verurteilt und verteufelt. Gebote, Verbote und Vorschriften, die angeblich unserem Wohl, der Umwelt oder unserer Gesundheit dienen sollen, begleiten unseren modernen Lebensweg. Mit nur ein klein wenig kritischen Selbstdenkens kann problemlos erkannt werden, dass Gesundheit und Sicherheit nur vorgetäuschte Argumente sind, und viele Verbote ein erträgliches Ausmaß an Absurdität längst übersteigen.
Der österreichische Philosoph Robert Pfaller meint in seinem Buch Wofür es sich zu leben lohnt: in dem Moment, in dem wir das Leben als Sparguthaben betrachten, gehen wir mit ihm in einer Weise um, als ob wir schon tot wären. Das ist eine Vorsicht gegenüber dem Leben, die das Leben selber tötet. Das Verschwenderische dagegen ist … [das] Lebendige – das, was am Frühling imponiert. Wenn der Frühling einen Sinn hat in der Philosophie, dann ist es dieser Sinn des Verschwenderischen – einer Kultur der großzügigen Gabe.[35]
Die Welt, in der wir leben, und das Leben, das wir leben sind also a priori sinnleer. Der Sinn, den wir der Welt und unserem Leben geben können, bedarf keiner Verankerung im Glauben an einen intelligenten Planer dieser Welt. Sinnvolles Leben in einer sinnlosen Welt ist möglich. Die Freuden unseres Alltags bedürfen einer sinnvollen Welt nicht. Wir können natürlich auch über unser Dasein hinaus wirken, indem wir soziale und kulturelle Leistungen vollbringen, indem wir uns geistig und gesellschaftlich engagieren und ein „gutes“ Leben anstreben, das nach Bertrand Russell (1872 – 1970) von Liebe inspiriert und von Erkenntnis geleitet wird.[36]
Als Br... Meister ist mein Auftrag, mein Leben aktiv zu gestalten. Mein Denken kreist um die Frage, was der Sinn meines Lebens ist. Ich bin mir der Endlichkeit meines Lebens und der Nichtigkeit meines Tuns bewusst. Ich begreife mein Leben als Aufgabe im hier und jetzt. Weder trauere ich einer verklärten Vergangenheit nach, noch warte ich auf eine hoffnungsvolle Zukunft. Ich erfahre mich als ein Mensch, der sich selbst vorfindet als einer, der begriffen hat, dass er auf dieser Erde ein durch niemanden gesichertes und ganz und gar auf sich selbst gestelltes Wesen ist; zugleich ein Wesen mit vielen offenen Möglichkeiten. Der weiß, dass wir nichts sind, dass wir aber alles sein wollen: Nicht im Sinne eines Gottes, sondern voll und ganz im Sinne des Menschen.[37] So verstehe ich mich als jemand, der sein Handeln selbst verantworten muss, der sich nicht von Gott gehalten und nicht vom Bösen getrieben weiß; der sich deshalb gezwungen sieht, die Einübung in die Kunst des rechten Lebens, des rechten Liebens und des rechten Sterbens38[38] aus sich heraus und um seiner selbst willen zu wagen. Als denkender Mensch verstehe ich mich vielmehr als einer, der seiner Verantwortlichkeit vor sich selbst und für sich selbst nicht entrinnen kann.
Die Werkzeuge, mein Leben aktiv zu gestalten, habe ich als Lehrling und Geselle erhalten. Meinen eigenen Tod erfahren zu haben, lässt mich das Leben nun umso mehr lieben. Das einzige, was zählt, ist das Jetzt. Gestern und Morgen sind kein Thema. Der dritte Grad [Meistergrad] ist das Ende des Weges, er verläuft im Hier und Jetzt, danach führt kein Weg weiter, und es gilt die Zeit zu nützen.[39]
Sinnvolles Leben in einer sinnlosen Welt wird damit möglich, im Dienst meines eigenen Lebens und Überlebens. Diese Gedanken führen mich auf meinen Eigenwert und Selbstzweck zurück. „Ja“ zum Sinn heißt „ja“ zum eigenen Leben, „ja“ zum Leben in der Gemeinschaft, die ohne ihre Individuen ebenso wenig existieren kann, wie das Individuum ohne die Gemeinschaft ein befriedigendes Leben führen kann.
[1] Ritual der Erhebung, Rituale der Großloge von Österreich 2011
[2] de Spinoza Baruch (1632 – 1677)
[3] Russell B.: A free man’s worship (1903), in: Mysticism and Logic. Longmans Green, New York/ London 1918
[4] Wuketits F.M., Darwins Kosmos, sinnvolles Leben in einer sinnlosen Welt, Alibri Verlag Aschaffenburg 2009
[5] Vollmer G., Bin ich Atheist? In Dahl E. (Hrsg.): die Lehre des Unheils, Fundamentalkritik am Christentum, Hamburg 1993
[6] Einstein A., Mein Weltbild 1943 (1970), Ullstein, Frankfurt/Main – Berlin
[7] Kant I. In Beantwortung der Frage, was ist Aufklärung
[8] Tiedemann P., über den Sinn des Lebens. Die perspektivische Lebensform, Darmstadt 1993
[9] de la Mettrie J.O.: l’Homme Machine (1748), Felix Meiner Verlag Hamburg, 2009
[10] Nietzsche F.: aus dem Nachlass der Achtziger Jahre; in Friedrich Nietzsche: Werke; herausgegeben von Karl Schlechta, München 1954
[11]Camus A., der Mythos des Sisyphos, Reinbek 2000
[12] Ebd.
[13] Ebd.
[14] Ebd.
[15] Schmidt-Salomon M.: Manifest des evolutionären Humanismus, Plädoyer für eine zeitgemäße Leitkultur, Alibri Aschaffenburg 2006
[16] Streminger G.: Religiosität – eine Gefahr für die Moralität? Aufklärung und Kritik 1994, 1 (1), 28 – 44
[17] Wuketits F.M.: was Atheisten glauben, Gütersloher Verlagshaus 2014
[18] Camus A.: der Mythos des Sisyphos, Reinbek, Hamburg 2000
[19] Wuketits F.M: Darwins Kosmos. Sinnvolles Leben in einer sinnlosen Welt, Alibri, Aschaffenburg 2009
[20] Dostojewski F.M., Briefe Band 1 (herausgegeben von R. Schröder), Insel, Leipzig 1984
[21] Kanitscheider B.: eine entzauberte Welt. Über den Sinn des Lebens in uns selbst. Eine Streitschrift, Hirzel, Stuttgart 2008 22 Camus A.: der Mythos des Sisyphos, ein Versuch über das Absurde, Rowohlt, Hamburg 1959
[22] Camus A.: der Mythos des Sisyphos, Reinbek, Hamburg 2000
[23] Camus A.: der Mythos des Sisyphos, Reinbek, Hamburg 2000
[24] Oeser E., Seitelberger F., Gehirn, Bewusstsein und Erkenntnis; wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1988
[25] Zitiert nach Höhmann H. – H, vom eigenen Tod – Überlegungen eines Freimaurers; http://www.ver-sacrum.org, Zugriff 18.11.2012, 20.05 Uhr
[26] Provine W.B., Progress in Evolution and Meaning of Life; in Nitecky M.H. (Hrsg.) Evolutionary Progress, the University of Chicago Press, Chicago – London, 49 – 74
[27] Schmidt-Salomon M., Hoffnung Mensch, eine bessere Welt ist möglich, Piper, München 2014
[28] Wittgenstein L.,: Tractatus logico-philosophicus, Logisch-philosophische Abhandlung; Suhrkamp, Frankfurt/Main 1963
[29] Kanitscheider B., Entzauberte Welt. Über den Sinn des Lebens in uns selbst. Eine Streitschrift; Hirzel, Stuttgart 2008
[30] Schmidt H., Epikurs Philosophie der Lebensfreude, Kröner, Leipzig 1911
[31] http://www.jp.philo.at/texte/EuringerM2.pdf, Zugriff 04.04.2015, 1320 hrs
[32] Krauz 1980: in Euringer M.: Epikur, Antike Lebensfreude in der Gegenwart; Kohlhammer, Stuttgart 2003
[33] Laertius D.: Leben und Meinungen berühmter Philosophen; Felix Meiner Verlag, Hamburg 1967
[34] Ebd.
[35] Pfaller R., wofür es sich zu leben lohnt. Elemente materialistischer Philosophie (3. Auflage), Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Main 2013
[36] Russell B.: Why I am Not a Christian, London 1967
[37] Gardavsky, Vitezslav, Gott ist nicht ganz tot. Betrachtungen eines Marxisten über Bibel, Religion und Atheismus, München 1968
[38] Ebd.
[39] Grimm P.: der Dritte Grad – am Ende des Weges, BS in der DL Τελος, 15.03.2012