Unsere Bausteine sind die Menschen

MvSt: Bruder 2. Aufseher, warum nennen wir uns Freimaurer?

2.A: Weil wir als freie Männer bauen am Tempel der allgemeinen Menschenliebe.

MvSt: Mit welchen Steinen bauen wir diesen Tempel?

2. A: Unsere Bausteine sind die Menschen.

MvSt: Bruder 1. Aufseher, was bindet diese Steine zu einem Ganzen?

1.A: Die Brüderlichkeit.

In diesen Fragen und Antworten fasst das Ritual programmatisch die nach außen gerichteten Ziele unseres Bunds in dichter Abstraktion zusammen. Wenn wir nur zuhören, so ist alles Notwendige vorhanden:

die Akteure                              wir freien Männer von gutem Ruf

unsere Aufgabe                            zu bauen, nämlich

ein symbolisches Bauwerk          den Tempel

unser Ziel                                         die Menschenliebe

unsere Utopie                                    die allgemeine Menschenliebe, unser Tempel der Humanität

unsere Mittel                                     alle Menschen, die Universalität

das Bindemittel                                  die Brüderlichkeit

Es geht um unser Verständnis einer zukünftigen Gesellschaft ohne Hass, Vorurteile oder Gewalt. Damit stehen wir in einer Reihe mit anderen Menschen, die das Wohl der Menschen als ihr Ziel definieren. Das Besondere ist unsere freimaurerische Methode. Im Gegensatz zu anderen Weltanschauungen und Religionen wollen wir unsere Mitmenschen nicht zu unseren Zielen bekehren, bessern oder überzeugen. Unser Auftrag richtet sich an zunächst uns selbst. Es ist Aufgabe, der wir uns bei unserer Aufnahme in den Bund der FM verpflichtet haben, an uns selbst, an unserem eigenen rauen Stein zu arbeiten. Geführt durch Ritual, Symbole und Vorbild leitet die Arbeit am rauen Stein den Maurer von der Selbsterkenntnis zur Selbstbeherrschung, um ihn schließlich nach langen Jahren maurerischen Tuns zur möglichsten Annäherung an die Schönheit seines Menschentums zu führen, moderner ausgedrückt, Teil einer wahrhaft humanen Gesellschaft werden zu lassen. Unsere Utopie geht dahin, dass eines Tages genug Mitglieder unseres Bundes unter den Menschen leben werden, dass die Menschheit wie geimpft von dieser Idee der allgemeinen Menschenliebe ist.

Ich habe vom unserem Tun und unserer Utopie gesprochen und noch nichts über unsere Bausteine gesagt. Unsere Bausteine sind die Menschen, damit stellt das Ritual die Frage nach unserem Menschenbild. Denn so wie ein Gebäude aus Bruchsteinen anders aussieht als ein Gebäude aus behauenen Steinen oder aus Ziegelsteinen, so ist das Aussehen des Tempels der allgemeinen Menschenliebe abhängig von unserem Menschenbild. Die Frage nach dem zu Grunde liegenden Menschenbild ist meines Erachtens heute hochaktuell, denn so etwas, wie ein allgemein verbindliches Menschenbild gibt es in unserer modernen, freien, pluralen und multikulturellen Gesellschaft nicht mehr. Wahrscheinlich ist der kleinste gemeinsame Nenner die Erkenntnis, dass alle Menschen sterblich sind; und das wussten schon die Denker der Antike, welche die Menschen in Abgrenzung zu den Göttern als „die Sterblichen“ bezeichneten.

Im Mittelpunkt des Selbstverständnisses der Freimaurerei steht der Mensch, wie er ist. Anders als Religionsgemeinschaften fragt die Freimaurerei ausdrücklich nicht nach der transzendenten Bestimmung des Menschen, sondern beschäftigt sich konsequent mit der auf das Diesseits bezogenen Bestimmung des Menschen. Im Freimaurerlexikon von Lennhoff und Posner finden wir keinen Artikel Mensch oder Anthropologie, dafür aber solche zu Menschenrechten, Menschenwürde und Humanität. Dadurch kommt deutlich zum Ausdruck, dass es in der FMei nicht um ideologische Grundsätze, sondern um Ziele, Handeln und Tugenden geht. In den Ritualen finden wir Aspekte des realen Menschseins genauso wie die des moralischen Sollens. Geschichtlicher Fortschritt und der Bau am Tempel der Humanität sind zu keinem Zeitpunkt abgeschlossen und werden es auch zu keinem Zeitpunkt – anders als z.B. im Christentum mit der Parusie Christi – abgeschlossen sein.

Die Freimaurerei erkennt die Fehlbarkeit des Menschen an. Als Subjekt seiner Geschichte bleibt dem Br... auferlegt, sich selbst in gemeinschaftlicher Arbeit zu veredeln. Er braucht dazu weder die Mithilfe eines Priesters, der letztgültig die Zeichen der göttlichen Gnade vermittelt, noch die Selbstopferung eines Gottes. Das Ziel, der zu werden, der er sein könnte und damit menschenähnlicher – nicht gottähnlicher – zu werden, erreicht der Br... durch die drei Schritte der Selbsterkenntnis, der Selbstbeherrschung und der Selbstveredelung, die schon bei der Aufnahme gelehrt werden.

Anderson hat in den Old Charges auf ein verbindliches Menschenbild wahrscheinlich bewusst verzichtet. Handelt es sich in den Old Charges hauptsächlich um die zu natürlicher Religion hinführende Verbindlichkeit des Sittengesetzes, so tritt uns in der kontinentalen menschlich-kosmopolitschen Maurerei die Idee der Humanität entgegen, wie sie von den Enzyklopädisten in Frankreich und in den Dichtungen der Weimarer Klassik und den Schriften der Deutschen Idealisten vertreten wird.

Humanitas, eingedeutscht von Br... Johann Gottfried Herder als Humanität, ist ein Schlüsselbegriff der Philosophie Ciceros[1], abgeleitet vom Adjektiv „humanus“. Für Cicero ist mit Humanitas weniger die physische Natur des Menschen gemeint als vielmehr seine geistigen Aspekte, die den Menschen aus seiner rohen Natur herausheben. Damit steht Cicero in der platonisch – aristotelischen Tradition, gemäß welcher das wahre Wesen nur durch Befreiung oder sogar Erlösung aus der Verstrickung in die physische Natur freigelegt werden kann. Herder sieht daher die „Brutalität“ als den Gegensatz der Humanität[2]. Mit Humanität ist ein Ideal beschrieben, das sittliche und geistige Bildung, Würde, Geschmack, genauso wie Milde, Menschenfreundlichkeit, Bildung und auch Humor umfasst.

Insbesondere Nietzsche weist darauf hin, dass der klassische Begriff Humanität keine Aspekte der Leiblichkeit des Menschen bewusstmache. In seiner Philosophie bestimmt er Humanität vor dem Hintergrund einer Priorität des leiblichen Lebens. Dabei löst sich der bis dahin dogmatische Gegensatz zwischen Naturalismus und Humanismus auf, denn das (menschliche) Leben ist pure Natur.

Freimaurerische Humanität gestaltet sich als eine Form der Humanisierung des Natürlichen und einer Vernatürlichung des Humanen.[3] Dargestellt ist diese Sicht der Humanität in den Ritualen, in welchen einander kosmische wie natürliche Symbole genauso wie Bilder des Geistigen im Menschen wechselseitig durchdringen. Das Ziel dieser freimaurerischen Humanität ist ein Bewusstsein des Menschen, das nichts anders ist als das bewusst gewordene Sein.[4]

Humanität beschreibt den Menschen sowohl wie er ist als auch wie er sein sollte. Damit stellt sie eine moralische Kategorie dar. Freimaurerische Humanität ist keine intellektuelle Angelegenheit, sie ist vielmehr Ergebnis der gelebten menschlichen Praxis. Dem Bewusstsein dessen, was das Humane sei, gehen diejenigen Taten des Menschen voraus, in denen er sein Menschsein am ehesten erkennt[5]. In der humanitären Freimaurerei ist Humanität ein offener Begriff, der sich nicht von einer bestimmten, definierten Auffassung von Humanität herleitet. Der Humanitätsgedanke der FMei ist mit dem Bekenntnis zum Menschen und nicht mit dem Bekenntnis zu einer bestimmten Religion oder Philosophie[6] verbunden. Auch wenn maurerische Humanität auf Kants ausdrückliche Betonung des Sittengesetzes rekurriert, so gerät Humanität in der maurerischen Dimension in Gegensatz zu Kant, wenn sie sinnliche und emotionale Aspekte des menschlichen Daseins betont. Insbesondere der Gesellengrad betont Aspekte des Menschseins, die sich nur durch gemeinsames Tun, Zusammenleben und eben nicht durch reine Lehre und Vernunft erfahren lassen.

Unbestreitbar finden wir in den Ritualtexten theologische Einflüsse, daneben aber genauso stoische und neuplatonische, alchemistische Tendenzen ebenso wie die paulinischer und antiker Theologie entstammende Kategorien Glaube, Hoffnung, Liebe. Diese Aspekte sollen sich im diesseitigen Leben bewähren – im Einklang mit der Natur glücklichen Lebens.

Privates Glück und Nutzen für das soziale Ganze sind für die Enzyklopädisten kein Widerspruch. Verfolge jeder sein persönliches Interesse, so erweise sich die Entfaltung geistiger Energien und das Glüch des Einzelnen als förderlich für die Allgemeinheit. Jeder – so die Utopie des Br... Helvétius (1715 – 1771) – sei glücklich und gerecht, sobald er empfinde, dass sein Glück vom Glück seines nächsten abhänge.[7] Die innerweltlichen Ziele und Aufgaben der FMei betreffen den materiellen und moralischen Fortschritt des Menschengeschlechts. Die FMei ist davon überzeugt, dass die Veredelung der Menschheit durch die Selbstveredelung des einzelnen Menschen, des Bruders, geschehen kann.

Unser Menschenbild ist das Menschenbild der Aufklärung, das Menschenbild von Rousseau und Voltaire, erstmals niedergeschrieben in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776, proklamiert in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der französischen Nationalversammlung vom 26. August 1789 und in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948. Unsere Aufgabe ist es, unser Menschenbild permanent auf seine allgemeine Gültigkeit zu überprüfen und den Plan des Tempels der allgemeinen Menschenliebe daher permanent weiter zu entwickeln.

Und die Brüderlichkeit, das Bindemittel der Steine, das was die freien Menschen zusammenhält?, da hören wir allzu gerne nicht richtig hin. Denn Brüderlichkeit ist nach unserem allgemeinen Verständnis etwas, das sich doch ausdrücklich auf die Brr... meiner L bezieht, dann auf alle Brr... FM. Da macht uns das Ritual einen dicken Strich durch unser Denken, sagt es uns doch, dass Brüderlichkeit die Grenzen unseres Bundes überschreiten soll und sich auf alle Menschen bezieht. Der Mörtel, der Beton, des Baus des Tempels der allgemeinen Menschenliebe ist die Brüderlichkeit, die die Steine, nämlich die Menschen, alle Menschen, zu einer festen Mauer zusammenfügen soll.

Das Arbeitsgebiet des Br... FM erstreckt sich also auf alle Menschen, also Menschenliebe, Toleranz und Brüderlichkeit nicht nur für und unter Brr.... Wenn ich ehrlich bin, das scheint mir doch ziemlich idealistisch, dafür gehen mir manche Mitmenschen zu sehr auf den Geist. Aber FM definiert nicht hehre Idealziele, denen im praktischen Leben kein Wert zukommt; als Freimaurer stelle ich den Anspruch aus Idealen konkrete Anforderungen für mich und mein Leben zu formulieren (…wie hier durch das Wort, im Leben durch die Tat), daher muss ich mich dieser Herausforderung stellen.

Als Freimaurer kreisen unsere Ideale um Würde und Freiheit des Menschen; als Menschen brauchen wir diese Ideale, die wie die Sterne unerreichbar sind, um zu wissen, wohin unser Weg geht. Seien wir jedoch gleichzeitig mit Karl Popper vorsichtig, der meinte, der Versuch den Himmel auf Erden einzurichten, habe stets die Hölle erzeugt und weiter, wir müssten unsere Träume der Weltverbesserung aufgeben und dennoch könnten und sollten wir Weltverbesserer sein.

Humanität, Menschenliebe, schienen in den Anfangsjahren und Jahrzehnten der FMei ein einfaches, leicht zu definierendes Ziel zu sein, Befreiung des einzelnen Menschen, Abschaffen der Standesunterschiede, Rede- und Versammlungsfreiheit, Abschaffen der Zensur, Demokratie, Frauenwahlrecht. Das haben wir heute nach vielen Rückschlägen in der westlichen Welt ziemlich alles erreicht. Die allgemeine Erklärung der Menschrechte vom 10.12.1948 mit dem Satz zum Anfang: alle Menschen sind frei und gleich an Würden und Rechten geboren, die Europäische Menschenrechtskonvention, die diese Werte ein- und verschärft und auch für den einzelnen Menschen einklagbar macht, geben Zeugnis davon. So sieht der Mörtel unseres Tempelbaus also aus. Die Herausforderungen der heutigen Zeit schmerzen genauso wie die Herausforderungen von früher; aber wir müssen uns ihnen stellen. Unsere Aufgabe ist es, die neu entstehenden oder neu erkannten Ungerechtigkeiten, die diesem Idealbild des freien Menschen entgegenstehen zu erkennen und als Brr... FM daran zu arbeiten sie zu überwinden[8]. Auch die inzwischen erreichten Ziele waren einmal Utopie. Gerade für den Br... Fm gilt der kategorische Imperativ des Humanismus, der verlangt,…alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist[9]

Um den Tempel der Allgemeinen Menschenliebe errichten zu können, braucht es den Br... FM, den freien Mann. Der Br... muss in doppelter Hinsicht ein freier Mann sein; er muss frei sein von Vorurteilen, denn wer frei von Vorurteilen ist, kann Toleranz üben. Und er muss frei sein von inneren Zwängen; denn wenn er nicht seinen persönlichen Ehrgeiz beherrschen kann, dann kann er auch nicht Bruderliebe üben, die Brüderlichkeit, die Mitmenschlichkeit, die die Steine zu einem festen Ganzen fügt.

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.


[1] In seiner Schrift „de officiis“ definiert Cicero das Prinzip „Mensch als Mensch“, er schreibt: …und wenn die Natur das vorschreibt, dass der Mensch dem Menschen, wer auch immer er sei, helfen wolle wegen eben dieses Grundes, dass er ein Mensch ist, dann ist es gemäß derselben Natur notwendig, dass der Nutzen aller ein gemeinsamer sei. (Atque etiam si hoc natura praescribit, ut homo homini, quicumque sit, ob eam causam, quo dis homo sit, consultum velit, necesse est secundum eandem naturam omnium utilitatem esse communem). Die Forderung an die Menschen, anderen Menschen zu helfen, wird weder als göttliches Gebot gefordert, noch wird für das Befolgen dieser Forderung ewiges Seelenheil versprochen; für Cicero reicht als Begründung, warum ein Mensch dem anderen raten, helfen und für ihn sorgen soll, dass dieser ebenso ein Mensch ist, völlig aus. Der Grundsatz, dem Menschen zu helfen, weil er ein Mensch ist, ist ohne Ausnahme von Geschlecht, Stand, ethnischer Zugehörigkeit („Rasse“) allgemein gültig. Nach Cicero ist es die Vorschrift der Natur, …dass der Mensch für den Menschen sorgt, wer immer es sei, allein aus dem Grunde, dass er ein Mensch ist. Diese Vorschrift ist ein Recht, das bei allen Menschen bekannt ist, ein ius gentium; modern gesprochen ein Menschenrecht, begründet in der menschlichen Natur und dem Konsens aller Völker. Zugleich ist dies die allgemeinste, humanistische Begründung humanitärer Praxis.

[2] Die Bildung zur Humanität sei …ein Werk, das unablässig fortgesetzt werden muss, oder wir sinken zur rohen Tierheit, zur Brutalität zurück. (Herder, Brief 27, Bildung zur Humanisierung)

[3] Grün Klaus Jürgen, Humanität, in Freimaurerei, Geheimnisse – Rituale – Symbole, ein Handbuch, heraus-gegeben von Reinalter Helmut, Salier Verlag, Leipzig 2017

[4] ibidem

[5] ibidem

[6] Ibidem, cf. Cicero in de officiis

[7] Helvétius C.A., de l‘homme, et de ses facultés intellectuelles et de son éducation

[8] Satzung des Vereins Großloge von Österreich § 2, …obliegt ihm [dem Verein, der Großloge] … die Förderung der Allgemeinheit durch die Verbreitung fortschrittlicher Ideen,..

Ebenso das Statuten des Geselligkeitsverein Mercurius § 2 Zweck …, die Verbreitung fortschrittlicher Ideen…

[9] K. Marx, F. Engels: Werke, Berlin 1956, Band 1

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