Der Mensch steht im Zentrum des Selbstverständnisses der Freimaurerei. Anders als Religionsgemeinschaften fragt die Freimaurerei nicht nach der transzendenten Bestimmung des Menschen, sondern beschäftigt sich konsequent mit der auf das Diesseits bezogenen Bestimmung des Menschen. Im Freimaurerlexikon von Lennhoff und Posner finden wir keinen Artikel Mensch oder Anthropologie, dafür aber solche zu Menschenrechte, Menschenwürde und Humanität. Dadurch kommt deutlich zum Ausdruck, dass es in der FM-ei nicht um ideologische Grundsätze, sondern Ziele, Handeln und Tugenden geht. In den Ritualen finden wir Aspekte des realen Menschseins genauso wie die des moralischen Sollens. Geschichtlicher Fortschritt und der Bau am Tempel der Humanität sind zu keinem Zeitpunkt abgeschlossen und werden es auch zu keinem Zeitpunkt – anders als z.B. im Christentum mit der Parusie Christi – abgeschlossen sein.
Die Freimaurerei erkennt die Fehlbarkeit des Menschen an. Als Subjekt seiner Geschichte bleibt es ihm auferlegt, sich selbst in gemeinschaftlicher Arbeit zu veredeln. Er braucht dazu weder die Mithilfe eines Priesters, der letztgültig die Zeichen der göttlichen Gnade vermittelt, noch die Selbstopferung eines Gottes. Das Ziel, der zu werden, der er sein könnte und damit menschenähnlicher – nicht gottähnlicher – zu werden, erreicht der Br... durch die drei Schritte der Selbsterkenntnis der Selbstbeherrschung und der Selbstveredelung, die schon bei der Aufnahme gelehrt werden.
Die Wortführer des Bundes haben auf ein einheitliches, verbindliches Menschenbild wahrscheinlich bewusst verzichtet. Handelt es sich in den Alten Pflichten hauptsächlich um die zu natürlicher Religion hinführende Verbindlichkeit des Sittengesetzes, so tritt uns in der kontinentalen menschlich-kosmopolitschen Maurerei die Idee der Humanität entgegen, wie sie von den Enzyklopädisten in Frankreich und in den Dichtungen der Weimarer Klassik und den Schriften der Deutschen Idealisten vertreten wird.
Unbestreitbar
finden wir in den Ritualtexten theologische Einflüsse, daneben aber genauso
stoische und frühneuzeitliche, alchemistische Tendenzen ebenso wie die
paulinischer und antiker Theologie entstammende Kategorien Glaube, Hoffnung,
Liebe. Diese Aspekte sollen sich im diesseitigen Leben bewähren – im Einklang
mit der Natur glücklichen Lebens.
Privates Glück und Nutzen
für das soziale Ganze sind für die Enzyklopädisten kein Widerspruch. Verfolge
jeder sein persönliches Interesse, so erweise sich die Entfaltung geistiger
Energien als förderlich für die Allgemeinheit. Jeder – so die Utopie des Br... Helvétius (1715 – 1771)
sei glücklich und gerecht, sobald er empfinde, dass sein Glück vom Glück seines
nächsten abhänge.[1]
Die innerweltlichen Ziele und Aufgaben der FM-ei betreffen den materiellen und
moralischen Fortschritt des Menschengeschlechts. Die FM-ei ist davon überzeugt,
dass die Veredelung der Menschheit durch die Selbstveredelung des einzelnen
Menschen, des Bruders, geschehen kann.
[1] Helvétius C.A., de l‘homme, et de ses facultés intellectuelles et de son éducation