Gedanken zur Toleranz

Wir scheinen in einer Zeit zu leben, in der sich die meisten Menschen als „im Grunde tolerant“ bezeichnen, wir müssten also in einer ausgesprochen toleranten Welt leben. Unsere Erfahrung allerdings zeigt, dass dem nicht so ist.

 

Betrachtet man das breite Spektrum an Handlungen und Motiven, die unter dem Begriff „Toleranz“ zusammengefasst werden, so wird der Begriff weit, unbestimmbar und unverbindlich. Toleranz ist so – ohne Anspruch auf Vollständigkeit (nach Rainer Forst, Professor für Philosophie, Goethe-Universität, FfM)

  • Eine joviale, elterliche Geste gegen Menschen und Meinungen, die zwar nicht von uns nicht geachtet aber auch nicht als gefährlich angesehen werden.
  • Eine soziale Verfallserscheinung aus Nachgiebigkeit, Gleichgültigkeit und Urteilsschwäche.
  • Ein Aushalten von Unterschieden, das auf Selbstvertrauen und Charakterstärke beruht.
  • Ein Gebot der Nächstenliebe.
  • Eine minimale und schwache Form der Anerkennung, die bestenfalls eine Koexistenz hervorbringt.
  • Ein Ausdruck wechselseitigen Respekts unter Menschen, die sich trotz aller Unterschiede in wesentlichen Punkten als Gleiche achten.
  • Ein Zeichen von Solidarität für den Fremden und der Wertschätzung einer Pluralität von Lebensformen und Werten.
  • Eine Notwendigkeit angesichts der Tatsache, dass Überzeugungen nicht erzwingbar sind und die Freiheit des Gewissens folglich nicht einschränkbar ist.

 

Tolerant zu sein heißt, ein wenig von dem aufzugeben, was wir als unser gerechtfertigtes Eigeninteresse oder unsere Identität empfinden. Um gegenüber etwas oder jemand tolerant zu sein, müssen wir zunächst Ablehnung und Opposition aufbauen, denn gegenüber Personen, Vorgängen und Meinungen, die wir akzeptieren, braucht es keine Toleranz; wir stimmen von vorneherein mit ihnen überein.

 

Der Heidelberger Philosoph Rüdiger Bubner hat Toleranz als „überschießendes Angebot menschlichen Wohlwollens“ bezeichnet. Irgendwann muss dieses Überschießen allerdings an Grenzen stoßen, wenn Toleranz nicht ihren eigentlichen Sinn verlieren soll. Wir sind tolerant, wenn wir Abweichungen von der Norm als gerade noch hinnehmbar empfinden; ein Mehr – grenzenlose Toleranz – würde zur Selbstaufgabe führen. Diese Grenze ist von vorneherein nicht definiert und definierbar; sie unterliegt unserer subjektiven Einschätzung und ist situationsabhängig.

 

Der Jesuitenpater Rupert Lay sagt: Intoleranz muss mit aktiver Intoleranz begegnet werden. Ich möchte daher das Gegensatzpaar Toleranz / Intoleranz um eine Kategorie erweitern, – das Nicht –Tolerierbare. Gleichzeitig schränke ich im Sinn Lays jedoch ein, das einzige a priori  Nicht – Tolerierbare ist die Intoleranz. Der italienische Philosoph und Vordenker für Menschenrechte Norberto Bobbio spricht von positiver Toleranz und Intoleranz genauso wie von negativer Toleranz und Intoleranz. Wäre positive Toleranz ein grundlegender Wert für freies und friedliches Zusammenleben, so bedeute negative Toleranz Duldsamkeit gegenüber dem Bösen, Irrtum, Indifferenz und Prinzipienlosigkeit genauso wie nur seine Ruhe habe zu wollen oder Relativismus. Mit diesen Aspekten der negativen Toleranz wird gerne versucht, den Toleranzbegriff an sich in Misskredit zu bringen und daher abzulehnen. Positive Intoleranz hingegen sei doch eigentlich ein Begriff für Strenge, Standhaftigkeit, Konsequenz, Begriffe, die durchaus als Tugenden gelten. Gerade unsere westlichen, permissiven Gesellschaften litten unter einem Übermaß an Toleranz, die alles laufen und durchgehen lasse – zumindest verstehe ich Josef Ratzinger – alias Benedikt XVI. – so.

 

Oft wird behauptet, Toleranz könne nicht nur von Personen sondern auch von Institutionen, Staaten oder Kirchen geübt werden. Die Geschichte zeigt jedoch, dass Toleranz von Institutionen dann schnell ein Ende hat, wenn diese glauben, ihre Position, den Status quo verteidigen zu müssen. Im Zweifelsfall lassen Institutionen – frei nach Popper – Menschen für Ideen sterben als dass sie falsche Ideen sterben lassen. Staaten oder Kirchen sind zu einem „überschießendem Wohlwollen“ nicht fähig, während individuell geübte Toleranz wesentlich von Emotionen, Mitgefühl, dem Gewissen oder Einsichten gesteuert ist, Kategorien, die Institutionen fremd sind (cf. BMin Fekter, sie dürfe sich nicht von Emotionen leiten lassen, sondern sie habe Gesetze zu exekutieren).

 

Gerne wird behauptet, Religionen, insbesondere das Christentum, seien die Quelle der Toleranz. Gerade jedoch die drei großen Buchreligionen mit ihrem strikten Monotheismus (eifersüchtiger Gott) haben sich über die Jahrhunderte immer wieder aufs Neue als Hort von Intoleranz bestätigt. Zusätzlich hindert Religionen ihre dogmatische Glaubensgewissheit, ihr latenter Fundamentalismus und höchst menschliches Machtstreben daran, Toleranz hervor zu bringen. Die Toleranz, wie wir sie im staatlich, institutionellen Bereich heute in der sogenannt westlichen Welt erleben – richtiger wäre es, von Neutralität zu sprechen -, verdanken wir Aufklärern wie Voltaire, Rousseau, Montesquieu, Montaigne, Locke, Bayle, Hume uvam.

 

Die Fähigkeit Toleranz und damit verwandt Altruismus zu üben, empathisch zu sein, scheint in der menschlichen Natur verankert zu sein. Offensichtlich hatten im Laufe der Jahrzehntausende diejenigen der Gattung Homo einen evolutionären Vorteil, die im Stande waren, sich entsprechend zu verhalten; aktuelle Untersuchungen scheinen diese meine These zu belegen. Primatenforscher berichten, dass Schimpansen zu Anteilnahme und altruistischem Verhalten fähig sind und Artgenossen selbstlos Hilfe leisten, auch wenn sie keinen unmittelbaren Vorteil erwarten können.

 

Als Menschen sind wir soziale Wesen, worauf sich nicht nur unsere gesamte Kultur und alle unsere Errungenschaften gründen, sondern auch unsere Fähigkeit zum Überleben, was als isoliertes Individuum weder physisch noch psychisch möglich wäre. Gleichzeitig gehört zu unseren Eigenschaften eine starke und wahrscheinlich überlebenswichtige Neigung zur Aggression. Als Gegengewicht und gewissermaßen zum Ausgleich wurde uns die Möglichkeit zu tolerantem Verhalten als Erbe mitgegeben. Wir müssen daher erkennen, dass die Fähigkeit, Toleranz üben zu können, eine Voraussetzung und eine Vorbedingung für unsere eigene Existenz ist.

 

(nach Prof. Dr. Robert Zwilling, Toleranz – ein schwieriges und ein ambivalentes Konzept; in Aufklärung und Kritik 4/2010, 43 – 48)

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