Die Mittlere Kammer

Die Mittlere Kammer ist der Raum, zu dem ausschließlich Brr... FM Zutritt haben, die alle Geheimnisse der FM-ei kennen und aus der Erkenntnis des eigenen Todes ihre Freiheit erfahren haben. Sie ist der Ort, an dem die Brr... MM arbeiten; dort stimmen die Brr... MM über Lohnerhöhungen für Brr... GG ab, dort arbeiten die Brr... MM am Reißbrett, dort erfahren sie in ihrer Initiation das Geheimnis des Meistergrads, des Grads des Lebens.

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Unser österreichisches Schröderritual ist zum Symbol der Mittleren Kammer nicht allzu aufschlussreich. Sie wird ausschließlich am Beginn der Hiramslegende erwähnt, wenn der Br... R vom Bau des salomonischen Tempels berichtet, …im Vorhof errichtete er die Säulen „J“ und „B“. Dort versammelten sich die Lehrlinge und Gesellen bei allen Lohnzahlungen und Beratungen, während die Meister im Mittleren Raume zusammenkamen. Keiner hatte dort Zutritt, der nicht Zeichen, Wort und Griff kannte.[1] Mehr sagt das österreichische Schröderritual über die Mittlere Kammer nicht.

Rituale anderer Obödienzen wissen über das Symbol der Mittleren Kammer deutlich mehr zu berichten; daher scheint es mir sinnvoll, diese Rituale zu Rate zu ziehen, um Details über die Bedeutung der Mittleren Kammer zu erfahren.[2]

Der Rite Écossais Rectifié sagt im Katechismus:

  • Wo wurden Sie zum Meister erhoben?
  • In der Mittleren Kammer, einem Ort von Trauer und Klagen.
  • Wie sind sie dorthin gekommen?
  • Über eine geheimnisvolle Treppe in Form einer Wendeltreppe, die mit drei, fünf und sieben Stufen ansteigt.
  • Wenn Sie einen Meister verlören, wo würden Sie ihn suchen?
  • Zwischen Zirkel und Winkel.

Der Rite Français weiß zur Mittleren Kammer:

  • Wo erhalten die Meister ihren Lohn?
  • In der Mittleren Kammer.
  • Wenn ein Meister verloren wäre, wo würden Sie ihn finden?
  • Zwischen Winkelmaß und Zirkel.

Im Rite Écossais Ancien Accepté heißt es zur Mittleren Kammer:

  • Wo erhalten die Meister ihren Lohn?
  • In der Mittleren Kammer.
  • Wenn Sie einen ihrer Brüder verlören, wo würden Sie ihn suchen?
  • Zwischen Winkelmaß und Zirkel.

Im Emulation Rite heißt es:

  • Wo hoffen sie die ursprünglichen Geheimnisse eine Meistermaurers zu finden?
  • Im Zentrum.
  • Was ist das Zentrum?
  • Der eine Punkt in einem Kreis, von dem alle Punkte des Umfangs gleich weit entfernt ist.
  • Wo erhielten unsere alten Brüder ihren Lohn?
  • In der Mittleren Kammer des Salomonischen Tempels.

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Im historischen Zweigradsystem, wie es bis nach 1725 praktiziert wurde, war die Mittlere Kammer Teil des Gesellengrads. Insbesondere der Flammende Stern wurde der Mittleren Kammer zugeordnet. In Prichards „Masonry Dissected“ (1730) heißt es:[3]

  • Sind sie ein Maurergeselle?
  • Ich bin es.
  • Wo haben sie ihren Lohn erhalten?
  • In der Mittleren Kammer.
  • Wie sind sie in die Mittlere Kammer gekommen?
  • Über eine Wendeltreppe.

In England ist die Mittlere Kammer bis heute Teil des Gesellengrades, dort werden die Gesellen aufgenommen und erhalten ihren Lohn. Auf der Tafel des Gesellengrades englischer LL finden wir die Wendeltreppe mit drei, fünf und sieben Stufen, die zu einer mit einem Vorhang teilweise verschlossenen Tür führt, hinter der der Flammende Stern zu erkennen ist.

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Vom Bau des Salomonischen Tempels wird im Buch der Könige im sechsten Kapitel berichtetet; An die Wände des Hauses, und zwar an die Wände des Hauptraums und des hinteren Raumes, legte er ringsum einen Anbau mit Kammern… Die Türe zu den unteren Kammern war an der Südseite des Hauses. Über Treppen stieg man zum mittleren und vom mittleren zum dritten Stockwerk hinauf.[4] (in alten Übersetzungen war von Kammer und nicht von Stockwerk die Rede). Der Überlieferung nach wurden die Räume in der zweiten und dritten Etage als Lagerräume für die rituellen Gerätschaften des Tempeldienstes und als Garderoben und Aufenthaltsräume für die Priester verwendet. Die Verwendung der Mittleren Kammer als Treffpunkt der Meister während des Tempelbaus ist in der Bibel unbekannt und wird nur in unseren Ritualen berichtet.[5] Lennhoff und Posner meinen in ihrem internationalen Freimaurerlexikon, dass das Symbol der Mittleren Kammer aus dem Bauwesen übernommen worden wäre.

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Die fünfte Reise anlässlich seiner Beförderung führt den angehenden G in den Osten in das Licht des Flammenden Stern, den wir nach alter Tradition in der Mittleren Kammer finden. Wie wir im Gesellenbrief erfahren, ist dieser Weg des G die Annäherung an die Meisterschaft, …und nähert sich dem Meister.[6]

Der G muss seinen Weg durch das Labyrinth des Lebens mit dem Flammenden Stern als Wegweiser gehen. Scheinbar zielstrebig führt der Weg den Suchenden in das Labyrinth hinein, um plötzlich genau vor Erreichen des Ziels unvermittelt abzubiegen und so den Suchenden auf eine lange Reise zu schicken. Der Flammende Stern markiert das Ziel des Weges, die Mittlere Kammer. Dort begegnet der G seiner eigenen Unvollkommenheit, dem Minotaurus. Dort, in der Mittleren Kammer, stirbt er seinen symbolischen Tod und geht als neuer Mensch hinaus in ein neues Leben.

Die Mittlere Kammer ist ein düsterer Ort voll von Not und Klagen, in den der G nur Schritt für Schritt eindringen kann. Es geht nicht mehr darum, äußere Eindrücke wie in den beiden ersten Graden zu sammeln; der angehende Meister soll über den Wert der eigenen Begriffe und Vorstellungen nachdenken.

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Schon in der Antike bereiteten sogenannte Kleine Mysterien auf die große, die endgültige Einweihung vor, die einigen wenigen Auserwählten vorbehalten war. Auch die FMei initiiert den Adepten zwei Mal; Lehrlings- und Gesellengrad bereiten ihn auf das große und letzte Geheimnis der FMei, das Geheimnis des Meistergrads, vor.

Die Mittlere Kammer hat somit für den wandernden G eine ähnliche Funktion, wie die Dunkle Kammer für den Profanen. Der wandernde G muss jedoch tiefer in die Erde eindringen -Visita Interiora Terrae Rectificando Invenies Occultum Lapidem -, um jenes finstere Zentrum zu erreichen, wo die Wandlung stattfindet, in der Totes wiederbelebt, Getrenntes und Zerstörtes wieder zusammengefügt wird.

Beide, Profaner wie Geselle, müssen ihr altes Leben, das durch Selbstbetrug, Unwissen, Eitelkeit und Missgunst geprägt ist, hinter sich lassen. Im Angesicht des eigenen Todes, mit dem der zukünftige M und jeder Br... M bei ihrem Eintritt in die Mittlere Kammer konfrontiert werden, wird deutlich, was im Leben wirklich zählt und der Blick wird frei für eine neue Sicht auf die Welt und eine neue Erkenntnis seiner selbst.[7]

Der G muss erkennen, dass es keinen Grund gibt, auf erreichtes Wissen stolz zu sein. Er will ein Initiierter, ein Erleuchteter sein, und doch ist er ein Getriebener seiner Leidenschaften. Die gute Meinung, die er von sich selber hat, macht ihn blind für seine Fehler. Als Opfer eines mittelmäßigen Verstandes macht er sich gefährliche Illusionen über das Maß seiner Kenntnisse, denn gerade derjenige, der am wenigsten weiß, ist am ehesten geneigt, den Umfang des menschlichen Wissens mit der Enge des eigenen geistigen Horizonts gleich zu setzen. Noch immer ist er nicht Meister seiner törichten Leidenschaften, die seinen Sinn blenden.[8] Das Erleben des G wird dadurch verschärft, dass er an sich selbst erfährt, was solche Leidenschaften auslösen können; solche Leidenschaften töten, sie töten andere, sie töten ihn selbst.

Nach dem symbolischen Tod in der Dunklen Kammer am Beginn des Maurerlebens muss der G ein zweites Mal in der Mittleren Kammer sterben und den physischen Tod am eigenen Leib erfahren, um die endgültige und vollständige Einweihung zu erlangen. Dadurch, dass die Spannung der Dualität aufgehoben wird, wird der Geselle zum Meister, zum Stein der Weisen. Im Meistergrad wird so das große Werk durch Königsmord, Verwesung und Wiederauferstehung symbolisch dargestellt. Damit ist die Mittlere Kammer auch der Athanor des Einweihungswegs der Wandlung, der Brennofen der Königlichen Kunst, in dem die Leidenschaften zu Asche reduziert werden und so das Opus Magnum endgültig vollendet wird.

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Symbolisch steht die Mittlere Kammer auch für die Quintessenz der Alchemisten. Sie wird über eine Wendeltreppe mit 15 Stufen in drei Gruppen erreicht, Lehrling, Geselle, Meister, der Initiationsweg, den der einzelne Br... FM erklimmen muss. Die Zahl drei bedeutet das Dreieck, die Zahl fünf den Flammenden Stern und die Zahl sieben das Siegel Salomos mit einem Punkt im Zentrum. Das Siegel Salomos steht für den Philosophenstein, der Flammende Stern für die Materia Prima, das Dreieck ist das alchemistische Symbol für Feuer bzw. Wasser. In der Mittleren Kammer verbinden sich Pentagramm und Hexagramm, Mikrokosmos und Makrokosmos.

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Am Beginn seiner Erhebung tritt der G in einen dunklen Raum ein; im spärlichen Licht erkennt er ein Cranium und eine abgelaufene Sanduhr. Diese Höhle des Mithras, in der das Licht, das schon verschwunden war, wieder von Neuem zu strahlen beginnt, in der die Zukunft neu aus der Vergangenheit geboren wird, wo die Umwandlung vom Tod zum Leben stattfindet, dieser innere Ort, der nur solchen Eingeweihten zugänglich ist, die der letzten Geheimnisse würdig sind, dieses nur den Brr... MM bekannte Heiligtum, ist die Mittlere Kammer, ein Ort außerhalb von Zeit und Raum, ein Ort, wo die Zeit stillsteht.

In dieser Dunkelheit werden die Sinne frei, um auf die eigenen Gedanken zu hören, um tiefer in das Wesen der Dinge eindringen zu können. Der G überwindet die Täuschungen der Außenwelt. Gleichzeitig dringen Fragen an sein Ohr. Er, der Adept des Lebens, betritt die Höhle des zweiten Todes seiner Initiation. Im zweiten Tod soll er nicht nur wie bei seiner Aufnahme den groben Selbstbetrug ablegen, sondern auch alles, was nichtsagend und kleinlich ist, um so die letzte Wahrheit zu erkennen, hinter der alles Materielle und Vordergründige verblasst.

Es reicht nun nicht mehr, nur die Metalle abzulegen. Dieses Mal muss sich Haut vom Fleisch und Fleisch vom Bein lösen[9], um das Stadium der Verwesung zu erreichen. Seine Hinfälligkeit und Endlichkeit wird dem G damit wirklich bewusst.

Nachdem er den Tod und die Rückkehr ins Leben als neuer Hiram erlebt hat, kann er hinaus in ein neues Leben aufbrechen auf der Suche nach der wahren Meisterschaft und der werden, der er sein könnte. Um seine Mitte zu erreichen, muss der Maurer sich seiner Sterblichkeit stellen und nach dem Sinn seines vergänglichen Lebens fragen. Dann wird er aufrecht als neuer Hiram in der Mittleren Kammer, zwischen Winkelmaß und Zirkel, dort wo der Flammende Stern eingeschrieben ist, stehen.

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Der Br... M arbeitet im Zentrum zwischen Winkelmaß und Zirkel; er vermittelt, zwischen Materie und Geist, Himmel und Erde, Vernunft und Gefühl. Er ist Meister seiner Leidenschaften und handelt mit Weisheit, Umsicht und Mäßigung. Indem er Extreme vermeidet, geht er den Weg der Mitte, wie ihn die östlichen Weisheitslehren kennen; er ist daher fähig, seinen ausgewogenen Lebensplan auf dem Reißbrett zu entwerfen.

Die Mitte ist das ideale, perfekte Zentrum, der Ursprung aller Dinge. Für den Br... FM ist die Mittlere Kammer das perfekte Symbol für dieses Zentrum. Hier finden wir unseren Meister H.A., den Träger des verlorenen Wortes, sie reicht bis an die Peripherie des Universums. Dort ist der perfekte Mensch oder der Meister, der ein solcher werden will, zu Hause. Dorthin zu gelangen, bedeutet, aus der Peripherie des Rades, wo zentrifugale Kräfte herrschen, zu dessen Mitte, der Achse, zu gelangen. So wie die Achse das Rad ohne eigene Bewegung hält, so soll der Meister von nun an sein Leben führen, ohne sich von seinen Leidenschaften und Trieben beherrschen zu lassen. Laozi, ein Meister östlicher Meister des Wegs der Mitte, fasst diese Art zu leben so zusammen:

Der Weise lässt sich nicht blicken, er leuchtet.

Er drängt sich nicht auf, er wird wahrgenommen.

Er preist sich nicht an, er wird wegen seiner Verdienste gefunden.

Er drängt sich nicht vor, sondern schreitet voran…

Der Weise erreicht große Dinge, ohne selbst große Aktionen zu setzen.

Sich selbst zu erkennen ist die höchste Weisheit.

Die Anderen zu kennen, ist Weisheit.

Der Weise achtet alles, vor allem achtet er sich selbst.

Der Weise sieht das Ganze, nicht das Detail.

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[1] Rituale der GLvÖ, Ritual der Erhebung

[2] Alle Rituale zitiert nach Ferré J., Dictionnaire des Symboles Maçonniques, Éditions du Rocher, 1997; übersetzt vom Verfasser

[3] Zitiert nach Ferré J., Dictionnaire des Symboles Maçonniques, Éditions du Rocher, 1997; übersetzt vom Verfasser

[4] https://www.die-bibel.de/bibeln/online-bibeln/einheitsuebersetzung/bibeltext/bibel/text/lesen/stelle/11/60001/69999/; Zugriff 05.09.2016, 1700hrs

[5] http://www.sacred-texts.com/mas/syma/syma36.htm; Zugriff 05.09.2016, 17.20 hrs

[6] Rituale der GLvÖ, Ritual der Beförderung

[7] Beim Eintritt in die Mittlere Kammer steigt jeder Br... M mit dem Meisterschritt über den eigenen Kadaver.

[8] Rituale der GLvÖ, Ritual der Aufnahme

[9] Rituale der GLvÖ, Ritual der Erhebung

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