Das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht ergriffen. (Joh 1,5)
Es liegt mir ferne, mit diesem Baustück das Sakrileg der Blasphemie begehen, oder mir meine eigene, eklektische Religion schneidern zu wollen, am aller wenigsten aber will ich die religiösen Empfindungen einzelner Brr... mit meinen Ausführungen verletzen. Es geht mir auch nicht um wissenschaftlich Beweisbares sondern um Analogien und um Synchronizitäten, die mir aufgefallen sind, von denen ich gehört oder gelesen habe. In Analogien zu denken, setzt die Unterscheidung von Form und Inhalt voraus. Jede Form ist Ausdruck eines Inhalts; und jeder Inhalt drückt sich durch eine ihm eigene Form aus. (Goethe: „Alles Sichtbare ist nur ein Gleichnis“). Die Formen sind polar, das heißt in Gegensätze gespalten; sie sind endlich und unterliegen den Gesetzen von Raum und Zeit. Hinter dieser sichtbaren Welt der Formen gibt es aber eine Einheit, die Unio mystica, die alles zusammenführt, die keiner Veränderung mehr unterliegt. Für uns Menschen ist diese Einheit nicht vorstellbar, denn wir sind gefangen in den äußeren Formen mit ihrer Polarität. Manche von uns mögen ein Wenig von dieser Einheit erfahren haben. Was wir können und was ich in diesem Baustück versuchen will, ist, von den verschiedenen Formen zu berichten, hinter denen sich diese große Kraft, die wir mit der Sonne beschreiben, versteckt. Ich bin mir aber bewusst, dass ich erst recht wieder von einer Form, einem Symbol, erzähle, das der Polarität unterliegt.
Am Anfang alles Erschaffenen steht das Feuer, das Licht – in der Genesis heißt es: „es werde Licht“ -, denn die Grundeigenschaften des feurigen Prinzips sind Hitze und Expansion. Das Feuer liegt dem Licht zu Grunde, und jedes Licht kann in Feuer verwandelt werden und umgekehrt. Licht ist durchdringend und expansiv. Die Finsternis ist dem Licht entgegengesetzt und entstammt dem Wasserprinzip, seine Grundeigenschaften sind Kälte und Zusammenziehung. Genauso wie das Feuerprinzip ohne seinen Gegenpol das Wasserprinzip nicht bestehen könnte, so könnten wir das Licht ohne die Finsternis nicht erkennen. Ohne Finsternis gäbe es kein Licht. Licht und Finsternis entstehen aus dem Wechselspiel der Elemente Feuer und Wasser. Deshalb hat das Licht in seiner Auswirkung die positiven Eigenschaften und die Finsternis die negativen Eigenschaften.
Heute am 21. Dezember beginnt der Winter mit seinem Solstitium, der Wintersonnenwende. Die Sonne durchwandert einmal im Jahr entgegen dem Uhrzeigersinn den Tierkreis und legt dabei pro Tag etwa 1 Grad zurück, durchwandert während eines Jahres also den Tierkreis zur Gänze. Durch die Schiefe der Ekliptik zum Erdäquator entstehen unsere Jahreszeiten und die unterschiedlichen Verhältnisse von Tag und Nacht. Das Wintersolstitium finden wir bei 0° Steinbock mit der längsten Nacht und dem kürzesten Tag. Ab dem Herbstäquinoktium – 0° Waage – erleben wir sehr deutlich die Abnahme des Tages und die Zunahme der Nacht. Die Kräfte der Finsternis scheinen die Kräfte des Lichts mehr und mehr zu überwältigen. Doch in dem Moment der größten Sonnenferne, in diesem Moment, in dem die dunklen Kräfte zu siegen scheinen, ändert sich die Situation, und der Siegeslauf des Lichtes beginnt von neuem.
In der dualistischen Glaubenswelt früherer Kulturen wurden die Mächte des Lichts und die Mächte der Finsternis gleichermaßen verehrt. Licht und Finsternis erscheinen gleich stark und stehen in permanentem Wettstreit miteinander; im Denken und Handeln der Menschen sind Gut und Böse so eng vermengt, dass sie nicht immer unterschieden werden können, manchmal entsteht aus guten Absichten Böses und aus bösen Wünschen Gutes. (Paulus schreibt: Ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will, Röm 7,19). Der Urgegensatz von Licht und Finsternis, Gut und Böse, Leben und Tod erfüllt das ganze menschliche Dasein. In der Natur stehen die beiden Prinzipien nebeneinander, und nichts deutet darauf hin, dass das Licht einmal über die Finsternis herrschen wird.
So steht in der jüdischen Tradition dem Schöpfergott der ochsengleiche Gott der Finsternis, Satan, Samael, gegenüber, der sich bereits im Anfang Gottes Schöpferwillen widersetzt, als dieser die Welt mit „es werde Licht“ erschaffen will. Satan will seinerseits die Welt aus der Finsternis erschaffen. Gott unterwirft ihn daraufhin mit einem Schrei und verbannt ihn und seine Engel in ein finsteres Verlies. Trotzdem rühmt sich Samael, auch wenn Gott das Licht erschaffen hätte, so hätte er Finsternis und Hölle erschaffen.
Dass die Finsternis lange vor der Schöpfung nicht als bloßes Fehlen von Licht existiert hätte, sondern als eigene Entität, glaubten alle Völker des Vorderen Orients und des Mittelmeerraumes. So sprechen die Griechen von „Mutter Nacht“, die jüdische Tradition kennt einen „Fürsten der Finsternis“, der auch gleichzeitig mit Luzifer, dem Sohn der Morgendämmerung in Verbindung gebracht wird. Der Schrei mit dem Gott diesen Fürsten bezwingt, erinnert an den Schrei des Pan, den er ausstößt, als er Typhon, ein Ungeheuer, dessen Flügel die Sonne verfinstern, unterwirft.
Im 7. vorchristlichen Jahrhundert lehrt der medische Prophet Zoroaster – Zarathustra, dass das Böse, so mächtig es auch sein könne, überwunden werden könnte. In seiner Lehre führen die Heere des Lichts und die Heere der Finsternis, die Heere Ahura Mazdas (Ormuzd) und die Heere Ahrimans einen ewigen Kampf bis zum Ende der Zeiten. Zarathustra entwirft das Bild einer Zeit, in der das Schicksal der sichtbaren Welt und des guten und des bösen Prinzips entschieden werden würde; am Ende des Kampfes würde der Sieg des Guten stehen. Nach Zarathustras Lehre liegt die Zukunft des Menschen im göttlichen Lichtreich, einer Welt, mit deren Aufbau schon im Diesseits begonnen werden muss und die dann schließlich in einem endzeitlichen Kampf ihre Durchsetzung und Vollendung findet.
Ormuzd und Ahriman sind Söhne des einen, desselben Prinzips. Die einzige Macht ist Zrva Akaran, die „Grenzenlose Zeit“, die für den Menschen so unfassbar ist, dass er vor ihr nur in Ehrfurcht verharren kann. Aus Akaran geht das Licht hervor, dem Ormuzd entspringt, der eine reine Welt schafft. Eine zweite Ausstrahlung Akarans zeugt Ahriman, der machthungrig und eifersüchtig ist. Er beneidet Ormuzd und wird dafür in das Reich der Finsternis verbannt. Ormuzd schafft das Weltenlicht, die Sonne, nach dem Vorbild des überirdischen, himmlischen Lichts; dann schafft er die Quelle des Lebens, eine Macht, die er „Stier“ nennt, aber Ahriman tötet den Stier. Die Menschen, Mann und Frau, werden von Ormuzd aus dem zerstreuten Samen des Stiers geschaffen. Da verführt Ahriman die Frau mit Milch und Früchten und der Mensch verfällt der Sünde. Zu seiner Verstärkung erschafft Ahriman Tierungeheuer, Reptilien und Schlangen. Die Macht des Bösen nimmt immer mehr zu, und die Mächte der Finsternis scheinen vor ihrem Sieg zu stehen. In dem Augenblick aber, in dem Ahriman den Sieg erreicht zu haben scheint, kommt das Gericht mit der Ankunft des Erlösers, dem Mithras, der in dieser Nacht der Wintersonnenwende geboren wird. Ormuzd errichtet sein Reich des Lichts, und die Mächte der Finsternis sind endgültig besiegt.
Im dritten nachchristlichen Jahrhundert reiht sich Mani in die Reihe der Schöpfer von Erlösungsreligionen ein. Nachdem er Buddhismus, Zoroastrismus und Christentum kennen gelernt hat, sieht er sich selbst als deren Vollender an. Mani gehört einer Gruppe von Gnostikern an, die Licht und Finsternis, Gut und Böse als ursprüngliche Gegensätze ansehen. Dem Reich des Lichts steht ein Reich der Finsternis gegenüber. Im Lichtreich herrscht der Vater der Größe. Dieser hat fünf Wohnungen bzw. Glieder: Nus, Denken, Einsicht, Gedanke, Überlegung. Zwölf Äonen umgeben ihn, die je drei auf die vier Himmelsrichtungen verteilt sind.
Die Gegenseite bildet das Reich der Finsternis. Es wird vom König der Finsternis beherrscht. Dieser hat die Gestalt eines Tieres und ist ein Produkt der Hyle, des Gedanken des Todes. Fünf finstere Elemente finden wir im Reich der Finsternis: Rauch, Dunkelheit, Wind, Wasser, Feuer. Die innere Uneinigkeit und Unruhe ist eine Besonderheit dieses Reiches. Im Verlauf der ständigen inneren Kämpfe erblickt die Finsternis das Licht und wünscht es sich einzuverleiben.
Der Vater der Größe aber ist nur auf Frieden mit allen Größen eingestellt, dennoch entschließt er sich, den Kampf selbst aufzunehmen. Dazu beruft er aus sich die Mutter des Lebens, die auch die große Geistin heißt – Geist ist in den semitischen Sprachen feminin, cf. Ruach – und diese beruft wiederum den Ersten Menschen. Er umgibt sich mit seinen Elementen als Rüstung, die zugleich die lebendige Seele bilden. Es sind dies die Glieder der Lichterde, die den Elementen des Finsternisreiches gegenüberstehen: Luft, Wind, Licht Wasser, Feuer. Dieser Kampf endet zunächst mit der Überwindung des Ersten Menschen und seiner Rüstung, der Lebendigen Seele. Mani deutet dieses Ereignis aber nicht als Zeichen einer Niederlage, sondern auch als eine Fesselung der Finsternis, die durch die Verschlingung der Lichtelemente von ihrem Angriff auf das Lichtreich abgelenkt worden ist.
Ziel der nun folgenden Befreiung ist es, Licht und Finsternis so zu trennen, dass der vorige Zustand wieder hergestellt wird und der Angriff der Finsternis auf das Licht nicht mehr stattfinden kann. Die Befreiung des Lichts geht in mehreren Akten vor sich. Zunächst muss der Erste Mensch befreit werden, dann müssen Vorbereitungen für die Ausläuterung der Elemente getroffen werden und schließlich muss in einem eschatologischen Akt mit dem Abschluss der Ausläuterung der endgültige Zustand hergestellt werden.
Zunächst wird eine neue Götterdreiheit berufen: der Geliebte der Lichter, der große Baumeister und der Lebendige Geist. Der Letzte erlöst den Menschen, er steigt herab und spricht den Menschen an, worauf dieser antwortet. Ruf und Antwort steigen aus der Finsternis empor und vereinigen sich mit den himmlischen Größen, der Ruf mit dem Lebendigen Geist, die Antwort mit der Mutter des Lebens.
Zur Ausläuterung der Elemente begeben sich der Lebendige Geist und die Mutter des Lebens hinab in das Reich der Finsternis. Sie besiegen die Archonten des Finsternisreiches und gestalten aus ihren Leibern den Kosmos. Es werden zehn Himmel und acht Welten erschaffen. Die Finsterniskräfte, die er nicht zur Erschaffung der Welt verwandt hat, heftet der Lebendige Geist am Himmel an. Damit der Kosmos in der richtigen Ordnung bleibt, werden vom Lebendigen Geist fünf Söhne eingesetzt: der Splenditenens, der König der Ehre, der Licht-Adamas, der König der Herrlichkeit und der Atlas. Der erste hält den Kosmos, der letzte trägt ihn, so dass der Weltenbrand entstehen wird, wenn beide ihre Tätigkeit einstellen.
Somit ist die Maschinerie für die Ausläuterung geschaffen, benötigt wird nur noch die Gottheit, die sie in Bewegung setzt. Die Emanation des Vaters der Größe, die die dritte Epoche einleitet, wird Dritter Gesandter genannt. Er selbst nimmt Platz im „Schiff der Sonne“, Jesus der Glanz im „Schiff des Mondes“. Der Gesandte erscheint nun den Archonten und erregt sie sexuell. Die Begierde der Archonten äußert sich darin, dass sie das Licht, das sie in sich haben, frei geben.
Am Erlösungswerk sind auch der Erste Mensch und die Mutter des Lebens beteiligt. Auch der König der Herrlichkeit beginnt seine Arbeit, und der Große Baumeister erhält den Auftrag, einen neuen Bau ein Gefängnis, für die bösen Mächte zu errichten. Nach dem Weltende soll es als der Ort dienen, in dem die Finsterniskräfte für immer gefesselt sein werden, damit sie nie mehr einen Angriff gegen das Licht führen können. Darüber soll er noch das neue Paradies für die Lichtgötter errichten. Denn wenn die Lichtteile in der Welt so weit geläutert sind, dass sie sich in der letzten Statue zusammengefunden haben, tritt das Weltenende ein. Ein Weltenbrand von 1468 Jahren wird stattfinden und die Finsternis wird zu einem Klumpen zusammengepackt.
Der komplizierte manichäische Mythos beruht auf einem anthropozentrischen Schema. Der Nus rettet die Seele, die Psyche, aus der Hyle; die Psyche ist die Lichtseele und die Hyle die Schattenseele des Universums. Der Gesamtkosmos muss in Licht und Finsternis geschieden werden, denn er enthält die Weltenseele, die in ihrer Gesamtheit befreit werden muss. Mani benützt hier die Idee Platons von der Weltenseele und bedient sich ihres ambivalenten Charakters, um das Leiden des Lichts in seiner Verbindung mit der Finsternis darzustellen. Die Lebendige Seele ist die Seele des einzelnen Menschen, aber auch der Lichtteil, der irgendwo in der Welt verstreut ist und zugleich die Summe aller dieser Teile als Weltseele, die auch ein eigener Organismus ist. Der Licht-Nus durchwaltet den ganzen Kosmos und führt in der Säule der Herrlichkeit die Seelenteile empor. Wie im Makrokosmos durch seine Hilfe die stufenweise Erlösung stattfindet, so erlöst der Nus auch im Mikrokosmos die Seele und ihre Teile.
Erlöser oder Gottessöhne bringt die Menschheit seit jeher mit der Sonne in Verbindung, denn die Sonne ist ein Symbol des Lebens. Die Sonne ist das zentrale Gestirn, das Licht und Leben gibt, was die eigentliche Bedeutung eines Erlösers oder Gottessohnes ist. So steht über dem Tor Tempels von Tutmosis III. in Medinet Habu: „Er ist es, der Sol, der alles, was ist, geschaffen hat und ohne ihn wäre nichts geschaffen; der Vater aller Dinge, der Schöpfer, ist das Leben und das Licht.“
Der ägyptische König Amenophis IV. (1364-1347 v.u.Z.) versuchte, den vorherrschenden Polytheismus durch einen vergeistigten Sonnenmonotheismus zu ersetzen. In seiner als Sonnengesang bekannt gewordenen religiösen Lyrik hat Echnaton, wie er später genannt wurde, ein unvergängliches Denkmal hinterlassen:
„Du erscheinst so schön im Lichtorte des Himmels,
du lebendige Sonne, die zuerst zu leben anfing!
Du bist aufgeleuchtet im östlichen Lichtorte
und hast alle Lande mit deiner Schönheit erfüllt.
Du bist schön und groß, glänzend und hoch über allen Landen.
Deine Strahlen umfassen die Länder, bis zum Ende alles dessen, was du geschaffen hast;
du bist die Sonne und dringst eben deshalb bis an ihr äußerstes Ende.
Du hast den Himmel gemacht fern von der Erde, um an ihm aufzuleuchten,
um alles was du, einzig und allein du, geschaffen hast, zu sehen,
wenn du aufgeleuchtet bist in deiner Gestalt als lebendige Sonne,
erschienen und glänzend, fern und doch nah.“
Die Sonne ist die Verkörperung des Prinzips, das der Mensch braucht, um Licht und Leben zu erhalten. (Und das Wort ist Fleisch geworden, Joh 1, 14a). Die wichtigen Feste vieler Religionen korrespondieren mit den markanten Stellen der Sonne in ihrem Jahreslauf. Aufstieg und Niedergang der Sonne wird zum kosmischen Vorbild des sie auf Erden stellvertretenden Heros, der dann auch in den Himmel auffährt. Der göttliche Erlöser wurde schon lange vor dem Christentum verehrt. Philosophen, Verehrer der Sonne als Vernunft, lehrten, dass die Menschheit durch das geistige Licht gerettet werden würde, das Licht, das die Welt gut und vernünftig machen würde. Die Sonne ist der große Lehrer, und ihr jährlicher Umlauf zeigt uns die einzelnen Schritte unserer eigenen Entwicklung.
Dieser besondere Punkt im Sonnenlauf, die längste Nacht und der kürzeste Tag, wurde immer schon als die Einweihungsnacht gefeiert. In dieser Nacht wurden die vorbereiteten Neophyten in Erdhöhlen gebracht, wo sich das Mysterium abspielte, in dem die Neophyten die Sonne in der Mitte der tiefsten Nacht schauten. Das Licht, das Geistige, muss in der Tiefe der Erde, in der tiefsten Finsternis gefunden werden. (cf. unser Ritual der Aufnahme). Die Lichtsymbolik ist die Verbildlichung des Erlebnisses der Wiedergeburt. Alle Mysterien sind Lichtkulte. Gefeiert werden der Tod und die Wiedergeburt der Sonne.
Unser Jahr beginnt mit dem Winteranfang, dem Tod des Lichts, unter dem Zeichen des Steinbocks, obwohl das Jahr der Vegetation, des Lebens, mit dem Frühlingsäquinoktium beginnt. Das Frühlingsäquinoktium erinnert an die Auferstehung des Gottes des Lebens, der vorher in die Unterwelt, zu den Toten, hinabgestiegen ist. Die esoterisch, initiatorische Bedeutung der Sternzeichen des Winters ist hinter dem Christentum versteckt. Der Steinbock stellt den Denker dar, der sich in sich selbst vertieft, um so zum höchsten menschlichen Wissen zu gelangen, der Erkenntnis nichts zu wissen. Darauf folgt eine Bescheidenheit, die ihn offen macht für die Macht über uns. Er legt seine Metalle ab, die nur blendend strahlen, um schließlich in die Mittlere Kammer zu gelangen, wo jede Täuschung und Illusion entweichen. Wir sterben diesen symbolischen Tod aber nur, um wiedergeboren zu werden aus dem leuchtenden Wasser, das der Wassermann ausgießt. In diesem Wasser verwandeln wir uns in Fische – ein altes Symbol für Christus. Für die Babylonier war der Fisch Symbol der Seele, die im Meer Ea, der höchsten Weisheit, schwimmt.
Ich habe vorhin bewusst Mithras zitiert, denn sein Geburtsfest zum Wintersolstitium ist älter als das christliche Weihnachtsfest, die Geburt Jesu Christi, die zu diesem Fest gefeiert wird. Erst 337 unter Papst Julius wird der Geburtstag Jesu auf den 25. Dezember festgelegt. 390 schreibt Chrysostomos dazu: „auf den 25. Dezember wurde die Geburt des Heilands festgelegt, damit die Christen ihre Feiern ungestört abhalten können, während die Heiden mit ihren Zeremonien beschäftigt sind.“ Mit diesen Zeremonien aber ist Romalia, „die Geburt der unbesiegten Sonne, des Sol Invictus“ gemeint, und für Julian Apostatos ist die materielle Sonne ein Abbild der spirituellen Sonne, des absolut Guten. Die christliche Ikonografie setzt immer zur Rechten des Christus die Sonne. Und der protestantische Dichter Paul Gerhardt dichtet über das Jesuskind:
„Ich lag in tiefer Todesnacht,
du wurdest meine Sonne,
die Sonne, die mir zugedacht,
Licht, Leben, Freud’ und Wonne.
O Sonne, die das werte Licht
des Glaubens in mir zugericht’,
wie schön sind deine Strahlen.“
Auch in unserer Loge finde ich vieles, was mich an diese Thematik von Licht und Finsternis erinnert. In unserem Ritual wird der Meister vom Stuhl mit der Sonne verglichen, der die Loge erleuchtet oder beleuchtet. Wenn er das Licht aus dem Osten bringt, um die kleinen Lichter zu entzünden, wird er als Verkörperung der Loge zu einem Lichtbringer wie Loki, Prometheus oder auch Luzifer und erschafft eine Welt des Lichts, die Ordnung und Struktur in das Chaos der Dunkelheit bringt. Ebenso steht der TH symbolisch vor dem Tempel, um für uns alle seinen Kampf gegen die Mächte der Finsternis zu führen. Albert Pike interpretiert die weißen und schwarzen Fliesen des musivischen Pflasters als Symbol dieser beiden Antagonisten. Licht und Schatten, Freude und Schmerz, Kommen und Vergehen kennzeichnen im ständigen Wechsel das Leben auf der Erde. Dreimal umkreisen wir das musivische Pflaster auf unserer Reise zum Licht. Doch zwei Mal geht unser Weg am Osten vorbei, und wir finden uns wieder in der Dunkelheit des Westens, von wo wir ausgegangen sind. Erst wenn wir die rechte Kenntnis von uns selbst erlangen, können wir uns über unser kleines Menschenschicksal erheben und geradewegs das Licht aufsuchen.
Was uns Brr... Freimaurer allerdings fehlt, ist der Erlösungsgedanke oder ein Erlöser wie wir ihn sowohl im Zarathustrismus, selbstverständlich im Christentum, aber auch im Manichäismus finden. Es bleibt in der Verantwortung jedes einzelnen Br..., welche Position er selbst in diesem immerwährenden Konflikt zwischen Licht und Finsternis bezieht. Den Religionsstifter, der stellvertretend für alle seine zukünftigen Anhänger den Kampf mit der Finsternis geführt und gewonnen hat („descendit ad inferos“ im Credo), suchen wir in der Freimaurerei vergebens. In der Freimaurerei gibt es nämlich keinen endgültigen Sieg der Sonne, des Lichts, über die Finsternis. Die Freimaurerei ist eben kein Heilsweg, ihr Ansatz ist der des „stirb und werde“ unseres Br... Goethe. Am Winterjohannisfest feiern wir den Tod und zugleich die Wiedergeburt des Lichts.
Licht und Finsternis gehören untrennbar zusammen. Licht und Finsternis, Gut und Böse, Leben und Tod sind nur scheinbare Gegensätze, sie sind eins. Als Brr... Freimaurer sind wir dazu aufgerufen, das Licht und die Finsternis in uns selbst, unsere Stärken und Schwächen, unsere Talente und Fehler, unsere Ambitionen und Triebe, unsere Prägung durch unsere persönliche Geschichte zu erkennen. Jeder von uns muss sich den Schatten, seinen persönlichen Schatten stellen. Der erste Schritt ist das Erkennen der dunklen Seiten meines Ichs. Ich muss bereit sein anzuerkennen, dass ich nicht nur lichte Seiten in mir trage, sondern, dass die dunklen Seiten genauso wesentlich zu meiner Persönlichkeit beitragen. Kaum ein Mensch ist nur gut oder nur böse; das wäre Dr. Jekyll und Mister Hyde.
Zunächst ist es Ziel meiner Introspektion, die hellen und dunklen Seiten meines Charakters zu erkennen und als mein konkretes Ich zu akzeptieren. Danach beginnt meine Auseinandersetzung mit meinen Schatten. Ich beginne zu erkennen, dass Licht und Dunkel, Gut und Böse in manchen tatsächlich nur zwei Seiten ein und derselben Medaille sind; und dass manche schlechte Charaktereigenschaft nur eine übertriebene gute ist. So ist zum Beispiel Fanatismus übersteigerte Begeisterungsfähigkeit. Dies zu erkennen, ermöglicht mir neben der aktiven Unterdrückung meiner negativen Charaktereigenschaften noch eine zweite Möglichkeit, Herr meiner Schattenseite zu werden, nämlich die Umformung oder eine Transformation meiner Leidenschaften zurück auf ihren ursprünglich guten Ansatz. Das aktive Unterdrücken braucht Stärke und sehr viel Selbstbeherrschung. Zur Transformation meiner Leidenschaften benötige ich vor allem Weisheit, um die schönen, die hellen Seiten hervorzuholen.
Ziel eines Lebens nach Maurerart ist die Selbstveredelung des Einzelnen; mein Ziel ist es, täglich in allem so zu handeln, dass ich selbst Leben eher mehre, denn mindere (cf. Rupert Lay, Credo). Diesen Kampf muss ich täglich aufs Neue führen, und dieser Kampf ist bis an das Ende meines Lebenswegs nicht zu Ende. Dann werde ich vielleicht dem letzten Türhüter, der die Schwelle zur Schönheit des ewigen Lichts bewacht, sagen können: „ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet…“ (Paulus, 2. Tim 4,7)
Das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht ergriffen. (Joh 1,5)
Literatur:
- Bardon Franz; der Weg zum wahren Adepten; Verlag Hermann Bauer, 8. Auflage 1984
- Böhling Alexander; Die Gnosis, der Manichäismus; Artemis und Winkler Verlag 1995
- Högl Stefan; Die religiöse Dimension der Nah-Todeserfahrungen; Magisterarbeit in der Philosophischen Fakultät I der Universität Regensburg
- Lennhoff Eugen, Posner Oskar, Binder Dieter; internationales Freimaurerlexikon, überarbeitete und erweiterte Neuauflage, F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH; München 2000
- Ligou Daniel; dictionnaire de la franc-maçonnerie; presses universitaires de france
- Miers Horst E.; Lexikon des Geheimwissens; Goldmannverlag 1993
- Naudon Paul; les loges de Saint-Jean, Dervy-Livres, Paris, 1974, 1980, 1984
- Pike Albert, Morals and Dogma of the Ancient and Accepted Scottish Rite of Freemasonry, Kessinger Publishing Company, Montana, U.S.A.
- Quispel Gilles; Gnosis als Weltreligion; Origo Verlag Zürich 1972
- v. Ranke-Graves Robert, Patai Raphael; hebräische Mythologie, über die Schöpfungsgeschichte und andere Mythen aus dem Alten Testament; Rowohlts Enzyklopädie
- Regschek Kurt; die esoterische Bedeutung von Ostern, Baustück
- Regschek Kurt; die esoterische Bedeutung von Weihnachten, Baustück 1986
- Seligmann Kurt; das Weltreich der Magie, 5000 Jahre Geheime Kunst; R. Löwit GmbH, Wiesbaden 1984
- Wirth Oswald, Le symbolisme occulte de la Franc-maçonnerie, édition Dervy, Paris 1993
Abstract
Am Anfang alles Erschaffenen steht das Feuer, das Licht. Licht ist durchdringend und expansiv. Die Finsternis ist dem Licht entgegengesetzt und entstammt dem Wasserprinzip, seine Grundeigenschaften sind Kälte und Zusammenziehung. Genauso wie das Feuerprinzip ohne seinen Gegenpol das Wasserprinzip nicht bestehen könnte, so könnten wir das Licht ohne die Finsternis nicht erkennen. Das Licht hat in seiner Auswirkung die positiven Eigenschaften und die Finsternis die negativen Eigenschaften.
In der dualistischen Glaubenswelt früherer Kulturen wurden die Mächte des Lichts und die Mächte der Finsternis gleichermaßen verehrt. In der Natur stehen die beiden Prinzipien nebeneinander, und nichts deutet darauf hin, dass das Licht einmal über die Finsternis herrschen wird.
Ab dem Herbstäquinoktium erleben wir die Abnahme des Tages und die Zunahme der Nacht. Die Kräfte der Finsternis scheinen die Kräfte des Lichts mehr und mehr zu überwältigen. Doch in dem Moment der größten Sonnenferne, in diesem Moment, in dem die dunklen Kräfte zu siegen scheinen, ändert sich die Situation, und der Siegeslauf des Lichtes beginnt von neuem. Aufstieg und Niedergang der Sonne werden zum kosmischen Vorbild des sie auf Erden stellvertretenden Heros, der dann auch in den Himmel auffährt.
Dieses Phänomen hat die Menschen seit Alters her zum Nachdenken angeregt, auf diesem Phänomen fußen die Erlösungskulte des Zarathustrismus, des Manichäismus und des Christentum.
Auch in der FMei... finden wir diese dualistische Lichtsymbolik. Hier gibt es jedoch keinen endgültigen Sieg des Lichts über die Finsternis, schon gar nicht durch einen Erlöser. Licht und Finsternis gehören zusammen. Jeder einzelne Br... ist aufgerufen, diesen Kampf nach den Regeln der FMei... – erkenne dich selbst, beherrsche dich selbst, veredle dich selbst – zu führen, um am Ende in der Schönheit des ewigen Lichts vielleicht seinen Sieg zu finden.
Immer des Lesens und Verinnerlichens Wert!
Danke.
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So komme ich heute nun doch noch zu einer Zeichnung! Einer fantastischen Zeichnung! Danke! HB
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